EINFÜHRUNG
Die Blütezeit der deutschen Kunst im Donauland setzt gegen 1300 ein. Wohl hatte
in der Zeit der Babenberger, deren letzter, Friedrich der Streitbare, 1246 starb, ein
reidies geistiges Leben hier seinen Boden. Walther von der Vogclweide und der unbe
kannte Schöpfer des Nibelungenliedes sind erhabene Zeugen dafür. Aber die bildende
Kunst war dem nicht ebenbürtig. Das Riesentor von St. Stephan und die ihm ver
wandten Werke dürfen sidi nicht mit den unsterblichen Statuen messen, die damals
die großen Meister von Straßburg, Bamberg und Naumburg geschaffen haben. Erstaun
lich lange hielt sich in unserem Gebiet der romanische Stil. Das Riesenkruzifix von
Wimpassing, einst wohl das Triumphkreuz des alten Stephansdomes, gehört an
sein Ende, in das späte 13. Jahrhundert. In eigentümlicher Verbindung italienisch
byzantinischer und bodenständiger Elemente ist es seiner Größe, seinem Zweck und
seiner Kunstsprache nach ein Unikum der deutschen Kunst.
Wenig später dringt auch in der Ostmark die Gotik ein. Es ist die Zeit, die ihr
geistiges Gepräge durch Meister Eckart zu Köln erhielt, den man als Vorgänger Luthers
betrachten kann. Seine Lehre der Versenkung in das eigene Innere, der Notwendigkeit
seelischer Vereinigung mit Gott spiegelt sich in den Schöpfungen der Kunst des frühen
14. Jahrhunderts.
Zwei gewaltige Bauunternehmen stehen in der Ostmark am Beginn; Die Chöre von
Heiligenkreuz und von St. Stephan zu Wien. An diesen schließt sich eine große Bild
hauerschule. Ihr Haupt, der Meister der thronenden Maria von Klosterneuburg, ist
aus Regensburg gekommen, der nächsten großen Bauhütte, die den ersten gotischen
Dom an der Donau dort aufwachsen ließ. Der führende Bildhauer jener Hütte, den
man nach dem Grabmal des seligen Erminold in Prüfening nennt, muß der Lehrer des
Wiener Meisters gewesen sein. In dem Klosterneuburger Frühwerk klingt die feierliche
Wucht des 13. Jahrhunderts noch nach, sie verbindet sich in der stehenden Maria aus
Wiener-Neustadt mit den weicheren fließenderen Formen der vollen Gotik. An den
Meister schließen sich einige Nachfolger an, von denen die Ausstellung bedeutende
Schöpfungen zeigt.
Erweist sich die Steinplastik ihrer aus dem 13. Jahrhundert kommenden Tradition
und der Natur ihres wuchtigen Stoffs gemäß stärker nadi rückwärts gewendet, so bringt
die Holzschnitzerei das neue der Epoche um so deutlicher zum Ausdruck. Der Ritter
au.s St. Florian teilt mit jenen Steinfiguren wohl den tiefen Ernst und die edle Größe
der Haltung, die den Gedanken Meister Eckarts entspricht. Aber die Weltabwendung,
die Herrschaft des Seelischen über den Leib werden in seiner schmalen gewichtlos auf-
schwebenden Gestalt noch reiner sichtbar.
Und noch stärker spricht von diesen Zügen die Malerei auf den Rückseiten des
Verduner Altars, die vor 1329 in Wien entstand. Die vier Tafeln mit der Kreuzigung