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EINFÜHRUNG
und dem Noli me tangere, dem Tod und der Krönung der Jungfrau, sind die kost
barsten Inkunabeln der gotischen Tafelmalerei nördlich der Alpen. Schon die Themen
sind bezeichnend. Sie alle eignen sich zur Darstellung exstatischer Empfindung. Blickt
man auf den Gekreuzigten von Wimpassing zurüdc, dann tritt die Lebendigkeit des
Ausdrucks um so klarer vor. Als Symbol der Zeit kann die Szene gelten, die Jesus
auferstanden neben seinem Grabe zeigt, während Magdalena mit lechzend nach ihm
verlangender Gebärde zu seinen Füßen liegt. Das unerfüllbare Sehnen nach der Ver
einigung mit Gott ist so erschütternd nie mehr gestaltet worden. Es wirkt um so stärker,
als aus den unwirklich hageren, gespenstischen Gestalten kein Realismus der körper
lichen Erscheinung spricht.
In dieser ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts war die Ostmark auch auf dem Gebiet
der Buchmalerei die führende Landschaft im Reich. Die Ausstellung zeigt eine Reihe
der schönsten Handschriften, die damals in den Klöstern des Landes, teils in Deckfarben,
teils in lavierter Federzeichnung ihren Bildschmuck erhielten.
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts geht die Führung an Böhmen über. Dort hatte
Kaiser Karl IV., der Luxemburger, an seinem Hof in Prag eine Kunst entstehen lassen,
die der Überwindung mystischer Weitabgewandtheit entspricht, welche sich damals voll
zog. Eine große Malerschule, die an die Werke der donauländischen Malerei anknüpft
und von Italien einen Zustrom natürlicherer Darstellungsmittel aufnimmt, erreicht mit
der Werkstatt des Hohenfurter Altars und wenig später mit den Gemälden Meister
Theuderichs für Karlstein eine selbständige neue Form. Nicht minder berühmt sind die
Flauptwerke der Plastik, die Triforienbüsten von der Hand Peter Parlers, des Prager
Dombaumeisters; sie zeigen die Mitglieder des Herrscherhauses und ihrer Diener in
nie vorher gesehener Bildnisähnlichkeit.
Diese neue, ihrem Auftraggeber wie ihren Aufgaben nach höfische Kunst hat nur
wenig später auch in Wien Boden gefaßt und eine hohe Blüte erlebt. Sie geht auf den
ehrgeizigen Herzog Rudolf IV. zurück, der um der Gründung der Universität und des
Stephanskirchenschiffs willen, der Stifter genannt wurde. Er hat die Bedeutung der
bildenden Kunst als eines Mittels zur Repräsentation und zur Steigerung politischen
Ansehens wohl erfaßt. Nicht durch Zufall stellt das erste Bildnis der deutschen Kunst
schlechtweg gerade diesen Fürsten dar; indem es ihn in der angemaßten und durch die
groteske Urkundenfälschung des privilegium maius gestützten Erzherzogswürde zeigt,
sollte es zugleich als eine Art politischen Dokuments den Rang verewigen, den der
Kaiser nicht anerkannte.
Den Meister dieses Gemäldes mußte sich Rudolf aus der Prager Schule holen. Die
bodenständige Kunst der Ostmark brachte den höfischen Aufgaben wenig innere
Begabung entgegen. Auch in der Baukunst und in der Skulptur sehen wir eine ähnliche
Abhängigkeit. So großartig die Schöpfungen sind, die unter Rudolf IV. (f 1365) und
seinem Bruder Albrecht 111. (J 1395) entstanden, wirken sie doch in vielem als ein
künstlich gehegtes und nicht immer Boden findendes Gewächs. Das gilt für die pracht
vollen Reitersiegel und für die Scheiben des Habsburger Stammbaums, ebenso wie für die
Handschriften, die im Auftrag Albrechts III. geschrieben und illuminiert worden sind
und durchwegs der Verherrlichung des Fürsten und seines Hauses dienen. Das Rationale
Duranti, eine liturgische Handschrift, deren erstes Blatt die Fürsorge des Herzogs für
die Wiener Universität schildert und ihn über den vier Dekanen wie Gott Vater über
den Heiligen zeigt, ist die schönste von ihnen. Wenn auf den übrigen Zierseiten der Hand
schrift immer wieder das Herzogspaar selber, sein Siegel und seine Wappen angebracht