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AI Hansen, Hansen Breaks into the Unknown
(Hansen bricht ins Unbekannte auf), 1966
tung verschiedener Welt-Kuituren, sondern nur mehr die
Entwickiung von Kunstrichtungen im Westen und ihre
Durchsetzung in der restiichen Welt. Die eigentiiche Rolie
der internationaien Kunst sehen wir im globaien Kontext
der Herrschaft...Obwohl die derzeitige kulturelle Herrschaft
über die Dritte Weit Teil und Instrument des Neokolonialis
mus ist, entstand das Konzept westlicher Dominanz vor
den multinationalen Konzernen. Im Prinzip entwickelte es
sich gleich zu Beginn des westlichen Zeitalters, und zwar
paradoxerweise als Bestandteil von dessen humanisti
scher Weltsicht.183
X. Kosmologien
Die Kosmologie ist jener Zweig der systematischen Philo
sophie, der sich mit dem Wesen des Universums als Kosmos
beschäftigt, und dabei Metaphysik mit wissenschaftlichen
Erkenntnissen kombiniert. Sein besonderes Interesse gilt den
Vorgängen in der Natur und der Beziehung zwischen ihren
Elementen. Kosmogonische Theorien befassen sich mit der
Frage nach Schöpfung und Ursprung und der Entstehung der
Welt. Aus der gemeinsamen Wurzel in dem griechischen Wort
kosm oder kosmo entwickelten sich Begriffe wie »kosmopo
litisch« - also das Kennen von und Aufgeschlossensein
gegenüber großen Teilen der Welt, im Gegensatz zu provinzi
ell, lokalpatriotisch oder in seinem Horizont eingeschränkt
»Kosmopolit« - einer, der in jedem Land zuhause ist, der
Weltbürger - und »Kosmorama'< - eine Darstellung von
Landschaftsansichten aus verschiedenen Teilen der Welt, die
durch den Einsatz von Spiegeln, Linsen und Beleuchtung per
spektivisch realistisch erscheint.
Aktionskunst ist eine kosmopolitische Kunst, geschaffen von
Kosmopoliten, die kosmoramische Ansichten ihrer kulturellen,
sozialen und politischen Umgebung - in der ganzen Un
begrenztheit ihrer Dimensionen - auf der Fläche ihres Körpers
ausstellen. Diese körperlichen Räume spiegeln Fragmente,
Funken einer Erleuchtung über die Bedingung des Seins in
einem Zeitalter, das so schnell auf sein Ende zugeht, wie es
neue Möglichkeiten eröffnet. Durch die Linse ihres Verstands
haben diese Künstler ein Bild geformt, das sich in flüchtigen
Ereignissen wie in Abertausenden somatischen, kristallinen
Facetten offenbart, die veranschaulichen, wie die Menschheit
mit ihrem Leben umgeht.
Eine eingehendere Beschäftigung mit den Arbeiten dieser
Ausstellung wird zeigen, wie jeder einzelne Künstler jene glo-
193 Rasheed Araeen, Papier zu »Session 3: The Multinational Style«,
für die Sondernummer über »The State of British Art«, Studio
International, 193, 987,1978, S. 103.
bale Ordnung vorweggenommen hat, zu ihr gleichzeitig einen
Beitrag geleistet hat und Teil von ihr geworden ist, die sich
nicht nur kürzlich in der Revolution der elektronischen
Kommunikation manifestiert hat, sondern bereits um die letzte
Jahrhundertwende oder vielleicht auch schon viel früher als
Diskurs über den Kosmopolitismus aufgetaucht ist. Durch
eine Auseinandersetzung mit den vielfältigen Veränderungen,
die Künstleraktionen in den vergangenen fünfzig Jahren in
unserem täglichen Leben bewirkt haben, habe ich in diesem
Aufsatz versucht, die Leistungen dieser Künstler an der
Schnittstelle der ästhetischen und der sozialen Welt festzu
machen. Diese Künstler haben die Art und Weise, wie Kunst,
Visualität und Interaktion zwischen uns allen gedacht und
überdacht werden muß, unwiderruflich verändert. In meinen
Augen sind sie ästhetische Kosmonauten, die jene Formen
des Seins, des Lebens, Handelns und Denkens erforscht
haben, die modellhaft für eine Zukunft sein werden, die sich,
auch unter dem verstärkten Einfluß von Bio-, Endo- und
Nano-Technologien, Cyber-Körpern, künstlichen Lebens- und
Intelligenzformen und virtuellen Realitäten und Welten, radikal
verändert.
Im Zeitalter von Fernsehen, Kino, Werbung und jetzt auch von
digitalen Bildern ist die Aufgabe, Bedeutung in der sichtbaren
Welt zu verändern und zu kontrollieren, zweifelsohne viel kom
plexer, als sie es im Schatten der Zerstörung nach dem
Zweiten Weltkrieg war. Quer durch Zeit und Raum dieser
Ausstellung waren diese Künstler Teil einer gespaltenen, am
Rande der Vernichtung stehenden Welt, um schließlich mit
ansehen zu dürfen, wie am 9. November 1989 tatsächlich eine
kleine Mauer eingerissen wurde, wie Nelson Mandela nach
siebenundzwanzig Jahren aus einem Rassisten-Gefängnis
entlassen und zum Präsidenten eines neuen Südafrika
gewählt wurde, um mitzuerleben, wie die Nachricht vom
ersten geklonten Tier um die Welt ging und der beste
Schachspieler der Menschheit gegen ein Computer
programm verlor. In einer Welt solcher Welten hat uns die spe
kulative Suche, die allen ’Körperaktionen« dieser Künstler
gemeinsam ist, die Fähigkeit geschenkt, Erfahrungen neu zu
machen und neu zu überdenken - eine einzigartige Ressource
für eine konstruktive, humanere Zukunft im Angesicht von
Veränderungen, die alles, was ich oben beschrieben habe,
naiv und primitiv erscheinen lassen werden. Im nachfolgen
den Teil werde ich näher auf einige ungewöhnliche ästhe
tische Kosmologien eingehen, die Alternativmethoden skiz-