126
Kazuo Shiraga, Doru ni idomu (Kämpfen mit Schlamm), 1955
Materialität eine gewisse Ähnlichkeit zum Informel, das
sich später in Europa entwickeln sollte, nachgesagt. Die
Gutai-Gruppe, deren prägende Persönlichkeit der Maler
Jirö Yoshihara war, zielte also nicht von Anfang an auf
Aktion und Objekt ab.
Allan Kaprow bezeichnete diese beiden Aktionen in sei
nem berühmten Buch Assemblage, Environments and
Happenings später als Vorläufer des Happenings.^ Das
Buch erschien elf Jahre später (1966), und die beiden
obenerwähnten Aktionen gingen seinem eigenen ersten
Happening um zwei Jahre voraus. Vielen Kritikern, die
die Ausstellung besuchten, fehlte es an geeignetem
Vokabular, um die Aktivitäten zu beschreiben, und so tat
man sie schließlich als Wiederholung von Dada ab. Ein
Kritiker erinnert sich deutlich an diese Ratlosigkeit:
»Damals kannten wir nur das traditionelle Konzept von
Form, und es fehlte uns an Parametern zum Verständnis
solcher Arbeiten. Unsere Verblüffung hätte nicht größer
sein können, wenn wir Marsmännchen gesehen hätten.«s
Obwohl die Ausstellung von der etablierten Kunstszene
in Tokio ignoriert wurde, interessierte sich die Zeitschrift
Life dafür und schickte Photographen nach Tokio. Für
diese wurde im April 1956 eigens eine »One-Day Out-
door Exhibition« (Ichiniki dake no yagai ten) in einer Rui
ne am Ufer des Flusses Muko und in der Speiseölfabrik
der Familie Yoshihara inszeniert. Kazuo Shiraga fertigte
eine neue Version seines Holz-und-Axt-Stücks an, und
Kazuo Shiraga (links), Hiroshi Yamazaki (vorne auf dem Boden),
Akira Kanayama (rechts), Installationsphotographie von der
"First Gutai Exhibition«, 1955
Sadamasa Motonaga hängte seine Objekte mit gefärb
tem Wasser auf. Life publizierte die Geschichte leider
nie, aber die Photos von der Ausstellung kamen ins
Gutai-Archiv. Schon im Juli des gleichen Jahres fand die
zweite »Outdoor Exhibition« (Gutai yagai bijutsu ten) am
Ufer des Ashiya-Flusses statt. Dieses Mal luden Werke
von Shimamoto und Murakami das Publikum zur Partizi
pation ein, zwischen den Kiefern waren groteske Objek
te von Shiraga und Konzeptkunst von Kanayama auf
gestellt, und nachts beleuchtete Atsuko Tanakas riesige,
mit Glühbirnen dekorierte Figur Bühnenkostüm den Ort.
Im Vergleich zu der Ausstellung davor waren die Werke
deutlich größer geworden, so auch ein überdimensio
nales Bild von zehn mal zehn Metern von Shözö Shima
moto, der ein Vinyltuch zwischen zwei Kiefern aufge
spannt hatte und mit einer Spielzeugkanone Farbe
darauf schoß.
Bei dieser Ausstellung wurde deutlich, daß die Künstler
der Gutai-Gruppe begonnen hatten, sich für Action
painting zu interessieren. Shimamoto erinnert sich, daß
Yoshihara Action painting als Weg begriff, sich von
Mondrian, dessen Stil zu dieser Zeit als Höhepunkt
der Abstraktion galt, zu lösen. Yoshihara sah hier eine
Möglichkeit, der Malerei die zeitliche Komponente hinzu
zufügen, die bei Mondrian fehlte. Diese Inspiration ver
dankte er anscheinend der Kalligraphie des Zen-Prie
sters Nantembo, die er in einem Tempel in Nishinomiya
7 Allan Kaprow, Assemblage, Environments and Happenings, New
York 1966.
8 Ichiro Haryu, »Sengo Bijutsu Seisuishi« (Das Auf und Ab der
Nachkriegskunst), in: Tokyo Shoseki, 1979, S. 98.