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Sinne einer narrativen Bedeutungsfolge ein noch legitimerer 
Erbe der Hinterlassenschaft des Abstrakten Expressionismus 
als die Pop-art - und dieser auch diametral entgegengesetzt 
war. Newman und Pollock hatten in ihren Werken einen Grad 
von gestischer Abstraktion erreicht, der mehr als die von 
Greenberg favorisierten Bildobjekte Stellas, Nolands und 
Louis’ den Intentionen jener neuen Generation von Künstlern 
entsprach, für die Michael Fried in seinem grundsätzlich kriti 
schen Text »Art and Objecthood« die Bezeichnung »literalist 
art« gefunden hatte. Während die Künstler der Colourfield- 
Malerei nur einen Augenblick der Transformation des Bildes 
zum Objekt im Raum einfroren, damit einen limitierten Aspekt 
aus diesem entscheidenden Prozeß herausgriffen und in die 
sem Sinne auch eingeschränkt blieben, definierten die 
Literalisten das Kunstwerk als ganzheitliche Situation, als 
räumlich, performativ und konzeptorientiert und konnten 
damit das umfassende Spektrum der neu eröffneten Möglich 
keiten voll ausnützen. Die verschiedenen Ansätze von Andre, 
Flavin, Heizer, Judd, Morris, Nauman, Serra, Smithson, Son- 
nier, Matta-Clark, Bürden, Acconci oder Graham stehen alle 
in unmittelbarer Nachfolge des performativen Gestus der 
Arbeiten von Pollock und repräsentieren den amerikanischen 
Typus eines Konzepts, welches die Kunst der zweiten Hälfte 
des Jahrhunderts nachhaltig geprägt hat und gemeinsam mit 
der parallel entstehenden europäischen Entwicklung wohl am 
treffendsten mit dem Begriff einer »konkreten« Kunst 
beschrieben werden kann. Eine Position, die in der Proionga 
tion des von den Abstrakten Expressionisten aktualisierten 
Gestus der Avantgarde das klassische Sein der Kunst als 
Schein und Repräsentation noch einmal in Frage gestellt hat 
und, wie Fried richtig schreibt, viel »mehr (ist) als nur eine Epi 
sode in der Geschichte des Geschmacks«.“ 
Fried definiert dabei den Wesenskern dieser neuen Dimension 
der Kunst nicht als singuläre Entwicklung, sondern als den 
»Ausdruck eines allgemeinen und alles durchdringenden 
Zustands«, den er einer »Geschichte - beinahe Natur 
geschichte - der Anschauungsweisen (sensibility)« zuordnet. 
Dabei kommentiert er die hiervon ihm richtigerweise als revo 
lutionäre Paradigmenwechsel diagnostizierten Entwick 
lungen in der bildenden Kunst kritisch. Flusser hingegen, hätte 
er damals bereits in den Kategorien seiner Theorie der Geste 
gedacht, wäre vermutlich über die Bestätigung seiner Ge 
danken begeistert gewesen. Es erweist sich jedoch einmal 
mehr, daß die Theorie immer der Idee folgt. 
9 Michael Fried, »Kunst und Objekthaftigkeit«, in: Minimal Art - eine 
kritische Retrospektive, hrsg. von Gregor Stemmrich, Dresden - 
Basei 1995, S. 353. 
Die tatsächliche Mächtigkeit der von den amerikanischen 
Abstrakten Expressionisten formulierten neuen Möglichkeiten 
führte also zu einer Herausforderung, der sich die amerikani 
schen, aber insbesondere auch die europäischen Künstler 
stellen mußten. Um die Position der europäischen Kunst ver 
stehen zu können, muß man sie sowohl in das trans 
kontinentale Spannungsfeld stellen, als auch in eine Situation 
der Auseinandersetzung mit den klassischen und durch die 
Kriegskatastrophen zertrümmerten Avantgarden des frühen 
Jahrhunderts, Die Moderne und die Avantgarde haben vor 
allem in jenen Bereichen Europas einen ungeheuren Nieder 
gang erlebt, deren Gesellschaften Totalitarismus und Faschis 
mus mit all seinen Begleiterscheinungen wie der Korrumpie- 
rung des Bildungsbürgertums, der Vertreibung der Intelligenz. 
Antisemitismus und Genozid, der totalen Unterordnung der 
Kunst unter die Staatstyrannei und ihre Knebelung hervorge 
bracht hatten. In Deutschland, Österreich und Italien dauerte 
es beinahe ein Jahrzehnt, ehe wieder neue, herausfordernde 
Positionen eingenommen wurden und an Traditionen der 
Vorkriegszeit angeknüpft werden konnte. Dieser Logik der 
Geschichte folgend, ist die russische Kunst noch heute stär 
ker von einer anhaltenden Tendenz zum Exil geprägt als vom 
Entstehen einer grundsätzlichen Basis im Lande selbst, und 
in manchen Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes - 
von den neuen Krisenherden Europas am Balkan und man 
chen ehemaligen Einflußgebieten der UdSSR ganz zu 
schweigen - ist die Unfreiheit der Kunst noch immer kein 
Thema öffentlicher Diskussion. 
In Österreich, einem Land, das im Zentrum eines sich neu for 
mierenden Europa zwischen transkontinentalen atlantischen 
Tendenzen und den instabilen Kräften Osteuropas lag und 
dessen Geschichte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts 
von katastrophaler Diskontinuität bestimmt war, entwickelte 
sich aus den geistigen Trümmern ein Kunstverständnis, das 
eher retrospektiv und werterhaltend agierte. Man klammerte 
sich an die Vergangenheit und wünschte sich in die geschönte 
kollektive Erinnerung der monarchisch zentralisierten habs 
burgischen Welt zurück. Es war die Aufgabe der jungen und 
neuen Kunst der Nachkriegszeit, an jene österreichische Gei 
stestradition der Wiener Moderne anzuknüpfen, in der die 
Energien, die um die Jahrhundertwende von der Brüchigkeit 
der Welt der österreichisch-ungarischen Monarchie wie des 
gesamten europäischen Mächtegefüges freigesetzt wurden, 
zu bahnbrechenden Leistungen der Wissenschaften und
	        
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