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Gruppe »Kollektive Aktionen«,
Slogan - Manifest, 1976
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avantgardistische Gestus, mit dem Malewitsch eben keine
»angsterfüllte«, sondern eine »fruchtbare« Leere, einen
Anfang, formulieren wollte, findet sich also in den Neo-Avant-
garden der romantischen Konzeptualisten und auch in
Breners Arbeiten wieder.
Eine 1976 entstandene Photographie zeigt Valerij Gerlovin
und Rimma Gerlovina in nackter Rückenansicht. Um ihre
Hüften hängt eine Tafel mit der Aufschrift »Homo Sapiens -
Delai de Conservation 100 ans«. Vor dem koordinatenlosen
weißen Hintergrund des Photos erscheint diese Arbeit als
Metapher einer Verbindung der russischen Gegenwartskunst
mit der heroischen Avantgarde des Suprematismus. Die
Aktion Zoo ist hingegen ein aktionistischer Gestus, der stell
vertretend für jene Situation steht, in der sich die Moskauer
Konzeptualisten befanden. Ebenfalls 1976 führte die vom
Philologen Andrei] Monastyrskij gegründete Gruppe »Kollek
tive Aktionen« ihre ersten Performances durch. Monastyrskijs
Position ist von Beginn an interdisziplinär und performativ. Er
beschäftigt sich mit Poesie und minimalistischer Musik und
entwickelte sich in der Folge nicht nur zur Leitfigur der
Gruppe, sondern zu einem einflußreichen Theoretiker der in
offiziellen Kultur Moskaus in den siebziger Jahren. Etwa um
1975 beginnt er mit der Herstellung von Objekten, die dann in
den Aktionen eingesetzt wurden. Die Gruppe »Kollektive
Aktionen« realisierte von 1976 bis in die späten achtziger
Jahre etwa 60 Aktionen, die sich in der damaligen politischen
Situation der UdSSR und analog zu den Zimmerausstellungen
der nonkonformistischen Kunst immer in kleinstem Kreis
abspielten. Außer Monastyrskij waren in den ersten Jahren die
Künstler Nikita Alekseev, Nikola Panitkov, Georgij Kizeval’ter
und Sergej Romaschko beteiligt. Zu den Performances
wurden immer dieselben Freunde als Zuschauer eingeladen.
In der Regel waren dies Kabakov, Prigov, Bulatov, Bakstejn
und noch einige mehr. Drei Elemente sind in der Struktur der
Arbeiten Monastyrskijs wesentlich: die Landschaft, die Reise
und die Sprache in der Form des Kommentars. Die Aktionen
der Gruppe fanden bevorzugt im Winter in der Umgebung von
Moskau statt. Auch Monastyrskij projiziert damit das supre-
matistische Weiße Quadrat und dessen produktive Leere in
die weiße Landschaft. Die von den Gruppenmitgliedern
gesetzten und von den begleitenden Freunden beobachteten
und erlebten Aktivitäten konnten aber erst nach einer Reise
bzw. Wanderung stattfinden, im Zuge derer man die urbanen
Kontextualitäten hinter sich ließ. Durch die weiße Landschaft
ebenso wie durch die quasi meditative Reise aus dem ideo-
logisierten Sprachfluß der urbanen Umgebung heraus
formulierten die Mitglieder der »Kollektiven Aktionen«, jenen
Freiraum, den Groys in einem seiner ersten Texte zur
Moskauer Szene als »Null-Lösung« bezeichnet hatte, und den
sie in der Folge mit ihren ganz spezifischen Sprachen und
Aktivitäten füllten. Die Gruppe »Kollektive Aktionen« ent
wickelte sich in den fünfzehn Jahren ihrer Bestehens zu einer
Art diskursiver Sekte, und Monastyrskij wurde zum partizi-
patorische Aktionen entwerfenden Schamanen; heute aller
dings verläßt der Künstler kaum mehr seine Wohnung und
Moskau. Die Kontinuität der Arbeiten Monastyrskijs und sei
ner Gruppe »Kollektive Aktionen« hatte zur Folge, daß über
die Jahre viele Künstler, Literaten und Kritiker daran teil-
nahmen, und damit die Gruppe für die Moskauer Kunst
zu einer Art Bindeglied zwischen den Generationen wurde.
Monastyrskijs Wohnung war neben dem Dachbodenatelier
Kabakovs der zweite wichtige Fixpunkt der Moskauer
romantischen Konzeptualisten. Durch den performativen
Ansatz der Befreiungsübungen der Gruppe »Kollektive Aktio
nen«, aber auch durch Kabakovs private Vorlesungen aus
seinen »Alben« bildete sich das Koordinatensystem der
Gegenwirklichkeit, in der die Moskauer Konzeptualisten
überleben konnten.
Der heute gegenwärtige Aktionismus der Moskauer Szene
kann sich neben den performativen Entwicklungen der
russischen Revolutionsavantgarden und Phänomenen wie
Happening, Fluxus, Wiener Aktionismus und Performance-
Kunst bereits auf die, von Künstlern wie den Gerlovins und
dem Kreis um Monastyrskij geschriebene, jüngere Geschichte
der performativen russischen Kunst, berufen. Denn der
Gestus, die Aktion, war von Anfang an Teil der Formulierun
gen des Russischen Konzeptualismus. In diesem Zusam
menhang ist es wichtig, sich vor Augen zu halten, daß viele
der beteiligten Künstler nicht von der bildenden Kunst, son
dern der Literatur bzw. den Sprachwissenschaften herkamen.
Damit waren sie vermutlich geeigneter und besser gerüstet,
um gegen ein System vorzugehen, das sich in erster Linie
über den Text ideologisch vermittelte. Um gegen diese po
tentiell knebelnde Homogenität des Systems vorzugehen,
mußten dessen Sprachen analysiert und dekonstruiert
werden. Die romantischen Konzeptualisten entwickelten dafür