die Methode des ironisierenden und distanzierenden
Kommentars und ergänzten diese Methode der medialen
Verfremdung durch die befreiende Geste der Aktion.
In der nachstalinistisohen Phase wurde es den Künstlern
zunehmend möglich, sich in einem gewissen, wenn auch klei
nen und ständig bedrohten Freiraum zu bewegen. Man traf
sich regelmäßig in den meist an der städtischen Peripherie lie
genden überfüllten Kommunalwohnungen, wo sich die
Kontrollfähigkeit der Apparate in der Anonymität verlor und
der Künstler seine öffentliche Präsenz einbüßte. Nur in diesen
geduldeten Nischen war es für die nonkonformistischen
Künstler möglich zu überleben. Das Leben dieses sehr engen
Bekanntenkreises wurde zu einer Folge von häuslichen Aktio
nen und Ritualen. Die sakralen Objekte der Kunst nisteten sich
in die »Armseligkeit« des Daseins zwischen den Objekten der
Alltäglichkeit in den überfüllten Küchen der winzigen Klein
wohnungen in den Wohnsilos der Randbezirke Moskaus ein.
Die Trivialität des Alltags und die Kontextlosigkeit führten aber
auch zu Zweifel und Kritik an der Repräsentanz des Kunstob
jekts überhaupt. Daraus entstand eine Werkkritik, die eine
Interpretation der Kunst und des Museums nur mehr als
»Archiv« oder »Müilhaufen der Geschichte« zuließ. In den
Archiven und Museen werden die verschiedenen »Sprachen«
gleichwertig nebeneinander ausgestellt und instrumentalisiert.
Dadurch dekonstruiert man sie in ihrem Wesen und schafft
sinnentleerte Räume. Ein solcher Vorgang macht aber die
Archive selbst zwecklos und transformiert sie zu den von
Groys beschriebenen und von Kabakov in seinen Installatio
nen thematisierten »Müilhaufen«."^ Die Positionen Kabakovs
und Groys’ erinnern an Artaud. Schon dieser wollte ja dem
»Warenhaus der Literatur« keinen weiteren »Abfall« mehr hin
zufügen und sah seine Aufgabe in einer Konkretisierung der
Gedanken durch deren direkte, ja körperlich-schmerzhafte
Erfahrbarkeit. Er forderte die Rückkehr zu einer konkreten
Subjektbezogenheit durch Projektion der Gedanken auf den
Körper. Die Forderung Artauds, die aus den umfassenden Kri
sen der europäischen Gesellschaften und Kulturen ent
standen war, ist es, die im Aktionismus thematisiert wird, sei
es seit etwa 1975 durch die Moskauer Gruppe »Kollektive
Aktionen«, sei es ab 1960 in Westeuropa beispielsweise durch
die Wiener Aktionisten und Beuys.
15 Siehe dazu: Boris Groys, »Sammein, gesammeit werden -■ die
Rolie des Museums wenn der Nationaistaat zusammenbricht«, in:
lettre international, 2, 33,1996.
16 Siehe dazu: Peter Weibei, die wiener gruppe - a moment of
modernity 1954-1960, Wien-New York 1997, S. 775.
Nun wechseln wir zwar Ort und Zeit, begegnen aber durch
aus ähnlichen, ebenfalls als Folge der Auseinandersetzung
der Moderne mit totalitären und homogenen politischen Ideo
logien entstandenen Voraussetzungen. Wir gehen etwa vierzig
Jahre zurück nach Mitteleuropa. Flier taucht Wien langsam
wieder aus der Agonie des Zerfalls des Flabsburgerreiches,
der traumatischen Situation des Austrofaschismus der Zwi
schenkriegszeit, des Anschlusses Österreichs an das Dritte
Reich Hitlers und den beiden Kriegskatastrophen auf. Die
fundamentalen Leistungen der Wiener Moderne, der frühe
Wiener Expressionismus Klimts, Schieies, Mahlers, Gerstls
und Schönbergs, die Entwicklung der Psychoanalyse Freuds,
die Literatur von Kafka, Trakl und Musil, die neue Wiener
Schule Schönbergs, Bergs und Weberns und der Wiener
Kreis Wittgensteins, Gödels, Schlicks, Mauthners und
Carnaps sind in der Nachkriegsgegenwart nicht mehr prä
sent, ihre Vertreter entweder tot oder im Exil. Führt man sich
dieses Ausmaß an Zerstörung vor Augen, so ist auch hier das
schon zitierte Bild Brodskys des »durch seine Verwüstungen
angsteinflößenden Ortes« zweifellos zutreffend. Angst hatten
damals sowohl die fortschrittlichen Denker in ihrer gesell
schaftlichen und kulturellen Isolation, als auch die vielen
Nationalsozialisten, die ihre Identität und ihre moralische Inte
grität verloren hatten. In diesem Zusammenhang ist der
kulturgeschichtlichen These umfassend zuzustimmen, daß
Österreich auch nach 1945 und in gemäßigter Form bis in die
Gegenwart im Zeichen von Austrofaschismus und National
sozialismus gestanden hat.’® Das kulturelle Klima in Wien war
noch lange von einer antimodernen und retrospektiven
Grundstimmung geprägt. Keinesfalls kann man von einer
offenen, dynamisch vorwärtsstrebenden Situation sprechen,
obwohl dies die jüngere nationale Geschichtsmythologie mit
dem Begriff der »Stunde Null« gerne suggeriert. Erst viel spä
ter und in einem bis heute andauernden Prozeß begann sich
das Land langsam und in oft schmerzvollen Auseinander
setzungen mit den kollektiven Lasten der Vergangenheit aus
einanderzusetzen. Dieser beharrende und statische Aspekt in
der gesellschaftlichen Entwicklung der Zweiten Republik wird
in den österreichischen Geschichtswissenschaften mit dem
Begriff des »historischen Blocks«" treffend beschrieben. Erst
in der Jüngeren Vergangenheit, mit der endgültigen Hinwen-
17 Siehe dazu: Gerhard Botz, Albert Müller, »Über Differenz/Identität
In der österr. Gesellschafts- und Politikgeschichte seit 1945«, in:
Identität: Differenz - eine Topografie der Moderne, Wien - Köln -
Weimar 1992, S. 525 ff.