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lichkeit mit zukunftsweisenden künstlerischen Visionen. Die
revolutionär formulierten Kunst- und Werkkonzepte mußten
sich in dem Spannungsfeld zwischen der individuell verspür
ten Notwendigkeit des Künstlers, die kollektiv verdrängte
tragische Wirklichkeit zu bewältigen, und der grundsätzlichen
Kritik Adornos an der Kunst entwickeln. Vor dem Hintergrund
des Genozids an den Anderen, der der mittel- und osteu
ropäischen Kultur entstammte, hatte Adorno ja mit folgen
dem, tief pessimistischen Satz der Kunst die Möglichkeit zu
einem kollektivem Wirken, das vernünftige Erkenntnis erzeu
gen könnte, abgesproohen: »Nach Auschwitz ein Gedicht zu
schreiben, ist barbarisch, und das frißt auch die Erkenntnis an,
die ausspricht, warum es unmögiich ward, heute Gedichte zu
schreiben.Mit diesem schwerwiegenden Gedanken muß
ten sich insbesondere jene Künstler, deren Gesellschaften die
Voraussetzungen für solch eine niederschmetternde Kritik
geschaffen hatten, auseinandersetzen. Dennoch geht es hier
nicht bloß um einen Prozeß des Aufarbeitens und Bewälti-
gens. Wir sehen gerade im Gegenteil, wie aus dem Würgen
an eben dieser Vergangenheit die Gegenwart kritisch erlebt
und ein revolutionärer Blick in zukünftige Entwicklungen mög
lich wurde. Auch jener Theorie der Gesten, wie sie Flusser
noch kurz vor seinem Unfalltod entwickeln wollte, liegt eine
grundsätzlich revoiutionäre Vision zugrunde. Er betont aber
auch, daß es für uns heute aus einem allgemeinen Gefühl der
Unübersichtlichkeit und des Fiießens extrem schwer gewor
den ist, diese Revolution objektiv zu orten und zu benennen.
Jedenfalls schließt er auf ihr Vorhandensein aus dem perma
nenten Gefühl, sich neu orientieren zu müssen, um überhaupt
handiungsfähig zu bleiben. Innerhalb dieser Situation verspürt
er die Notwendigkeit des Entwurfs neuer Ansätze und Per
spektiven. Die Geschichte von Kunst und Wissenschaft der
Moderne und Gegenwart wird so zum Experimentierlabor
eines integrativen Modells. Für Flusser ist die Geste ein »Phä
nomen unseres aktiven In-der Welt-Seins« - und damit be-
26 Theodor W. Adorno, »Kulturkritik und Gesellschaft«, In:
Gesammelte Schritten, Bö. 10, Kulturkritik und Gesellschaft I,
Prismen, Frankfurt am Main 1977, S. 30.
freiendes, freies und gestaiterisches Handeln als ein kontinu
ierlicher, im Labor der Kunst entwickelter Faktor. Diese idealis
tische Betonung freien und auf einer selbstreflexiven Basis
agierenden Handelns bietet für eine Interpretation der Ent
wicklung der Kunst des beinahe vergangenen Jahrhunderts
und darüber hinaus einen Parameter, dessen aktivistischer
und anthropozentrischer Aspekt vor ailem in den postfaschi
stischen und postkommunistischen Gesellschaften formuliert
wurde.
Tatsächlich ist das 20. Jahrhundert geprägt von der ständigen
Auseinandersetzung zwischen der Forderung nach der Frei
heit des Denkens und der Entgrenzung totalitärer politischer
und technologischer Denksysteme, die furchtbarste und
unvorstellbarste Folgen nach sich zog. Durch die Entwicklung
des Gestus als performative Intervention in das Kunstwerk als
autonomes Konstrukt hat die Moderne in ihren avantgardisti
schen Vorstößen einen Modellmechanismus geschaffen, der
über ein Potential permanenter Befreiung und Emanzipation
verfügt.