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tenpunkte, zu denen dieGutai-Gruppe, der Nouveau Realisme,
Happening, Fluxus, Wiener Aktionismus, performative Skuip-
turen der sechziger Jahre und die Performance der siebziger
Jahre gehören, werden in anderen Aufsätzen dieses Kataio-
ges detaillierter untersucht werden. Das Ziel dieses Essays ist
es, eine Landkarte dieses äußerst komplexen, jedoch noch
zu wenig erforschten Territoriums zur Verfügung zu stellen, das
das Thema von »Out of Actions« ist.
Ursprünge: Pollock, Cage, Fontana, Shimamoto
Obwohl das Ende des Zweiten Weltkrieges weltweit mit
Erleichterung begrüßt wurde, so wurde doch angesichts der
beispiellosen Zerstörungen, die der Krieg angerichtet hatte,
und in dem Bewußtsein, daß die reale Möglichkeit einer glo
balen Zerstörung bestand, jeglicher aufkommende Optimis
mus von einem Gefühl der Leere gedämpft. Diese Spaltung
des Bewußtseins begünstigte und förderte Aktivitäten, die das
traditionelle Verhältnis zwischen Künstler und Objekt aufbra
chen; die Entstehung von Kunst wurde zunehmend zum Thema
der Kunst. In den USA, Europa und Japan begannen vier Künst
ler, die einen enormen Einfluß auf die Entwicklung der Kunst
der Nachkriegszeit ausüben sollten, neues Gewicht auf die
Funktion des Agierens bei der Entstehung des Objektes legen.
Jackson Pollock tanzte über Leinwände, die flach auf dem
Boden lagen, und tropfte und goß Farbe, um Farbfelder zu
erzeugen; John Cage venwendete die Prinzipien von Zufall und
Unbestimmtheit, um Kompositionen zu erzeugen, die bei jeder
Aufführung anders realisiert wurden; Lucio Fontana durch
löcherte und zerschnitt die Oberfläche des Bildes mit gewalt
samen, wenn auch eleganten Gesten; und Shözö Shimamo-
tos abstrakte Bilder entstanden aus zunehmend destruktive
ren Handlungen. Mit ihren bahnbrechenden Untersuchungen
über das Primat der Handlung bei der Herstellung des Objek
tes hinterließen diese vier Figuren ein bleibendes Erbe, das
für spätere Künstler, die die Befreiung ihrer Werke aus den
Fesseln der Objekthaftigkeit anstrebten, von enormer Wich
tigkeit sein sollte.
Pollocks Bedeutung als der einzig Schuldige an dem Konzept,
daß ein Gemälde die materielle Verkörperung einer Aktion sei,
ist so sehr hervorgehoben worden, daß andere, undramati
schere und weniger vollkommen gelungene Experimente nur
geringe Anerkennung fanden. Denn seine Werke hatten als
Objekte, deren Herstellungsprozeß in den Bildern selbst und
in weithin bekannten Photographien dokumentiert ist, einen
einzigartigen Einfluß auf die Entwicklung sowohl der Farb-
feldmalerel als auch der Performancekunst. Der Mythos, den
man aus Pollocks Leben machte, stellt seine Methode in den
Vordergrund. Während diese Hervorhebung die Vorstellungs
kraft unzähliger Künstler der Nachkriegszeit beeindruckt hat,
hat sie doch die Würdigung seiner Bilder eingeschränkt.
Pollocks primärer Einfluß war der eines archetypischen
Malers in der Arena einer ritualisierten - und doch unkontrol
lierten, brutal direkten und explosiven - kreativen Aktivität. Doch
die berühmtesten Beispiele für diese Aktivität, die reinen Drip
paintings, bilden nur einen kurzen Abschnitt seines Werkes.
Außerdem beginnt man, dank einer distanzierteren Betrach
tungsweise, die charakteristischsten dieser Gemälde wie
etwa Wo, 7 (1949), als sorgfältig konstruiert zu erkennen. Die
visuelle Evidenz legt nahe, daß Pollock seine getropfte und
gegossene Farbe mit mühevoller, malerischer Sorgfalt auftrug
und sogar Pinselstriche verwendete, um zusammenhängend
aufgebaute Kompositionen zu erzeugen. Diese Ansicht wider
spricht den spektakulär theatralischen Photographien von
Hans Namuth, die das Bild eines eingesperrten Tieres in der
kontraststarken, schwarz-weißen Trance einer kreativen, my
thenbildenden Aktion festhalten. Waren diese Photographien
authentische Dokumente von Pollocks Arbeitsweise? Sicher
lich. Ist ihnen eine Aufmerksamkeit zuteilgeworden, die über
ihre spezifische Fähigkeit, Pollocks Werk zu erklären, hinaus
ging? Zweifellos. Pollock wurde zu einer einzigartigen, zen
tralen Figur, an der andere Künstler sich messen sollten.
Mit Pollock, und in geringerem Maße mit Franz Kline und den
anderen Abstrakten Expressionisten, trat in der Malerei eine
Verschiebung ein. Mit einigen bedeutenden Ausnahmen hat
ten Maler bisher dazu geneigt, die Tatsache zu verbergen, daß
ihre Arbeiten das Resultat eines Prozesses waren, und die
Erzeugung von ausgewogenen Kompositionen bevorzugt, die
sorgfältig gewählte Ausschnitte der Welt zeigten, die als Bilder
gewürdigt werden konnten. Beim Action painting im allge
meinen und im Werk Pollocks im besonderen »belebt« jede
Geste die folgenden Bewegungen, indem sie eine nicht
narrative Linearität erzeugt, die die Aufmerksamkeit des
Betrachters auf die performative Dimension des Malaktes lenkt.
Obwohl Pollock diese Dimension seines Werkes in Frage
gestellt haben mag, transformierte sein Wunsch, mit der
Leinwand »Kontakt« (so Pollock) zu behalten, die Rolle des
Künstlers wesentlich von der eines bloßen Zuschauers
außerhalb der Leinwand in die eines Akteurs, dessen eigene
Aktionen sein Thema waren."'
Obwohl die Surrealisten mit dem Konzept der automatischen
Zeichnung experimentiert hatten, hatten sie das Primat der
Handlung nie in gleichem Maße betont wie Pollock und die
Abstrakten Expressionisten. Der Übergang von einer unkon
trollierten Aktion des Handgelenks zu der weitaus drama-