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gen, und die unrühmlichen Hubschrauberflüge vom Dach der
amerikanischen Botschaft sich mir für immer ins Gedächtnis
gebrannt haben.®
Watergate, die Niederlage der Neuen Linken infolge der
Ereignisse im Mai 1968 in Europa und die Gewalt der
Chinesischen Kulturrevolution zerstörten auch den letzten
Funken Vertrauen in die Gutartigkeit von Regierungen und
führten zu einer inneren Abwendung von jedweden
Bürgerpflichten.
Die für die »Sechziger Jahre« charakteristische, außer
gewöhnlich starke Wechselwirkung zwischen Aktion und
Politik spiegelt sich in der breiten Begriffspalette, derer sich
die Künstler bedienten, um ihre Arbeit zu beschreiben:
Konkrete Kunst, Happening, Fluxus, Aktion, Direct art,
Zeremonie, Demonstration, Kinetisches Theater, Arte povera.
Erd- oder Umweltkunst, Prozeßkunst, Interaktive Kunst,
Actual art, Aktivität, Guerrillakunst, Guerrillatheater, Guerrilla-
kunstaktion, Straßentheater, Live art, Eventkunst, Event
struktur, Bewußtmachung, Überlebensforschung und vieles
mehr. Schon die linguistische Vielfalt skizziert, wie breit die
Schnittstelle zwischen dem sozialen und dem ästhetischen
Inhalt von Kunst ist. Diese fruchtbare Etymologie zeigt, wie
lebhaft und engagiert die Künstler darum bemüht waren, die
ganz realen, bereits bestehenden Schnittpunkte zwischen
Ästhetik, Aktivismus und Kultur offenzulegen - Verknüp
fungen, die nicht nur dem Beispiel der amerikanischen
Bürgerrechtsbewegung folgten, sondern auch in Zusam
menhang mit der internationalen Erfahrung eines durch den
Kalten Krieg gespaltenen Planeten und anderen zeittypischen
Phänomenen standen: dem aufkommenden Postkolonialis
mus, dem Wettkampf im All, den Anfängen einer elektro
nischen Revolution im Kommunikationsbereich (insbesondere
Fernsehen und Computer), einem neuen globalen Umwelt
bewußtsein, dem Aufstieg der Neuen Linken und des Femi
nismus als Wegbereiter für andere Interessensgruppen wie
Schwule und Lesben und einem Multikulturalismus, der Ende
der siebziger Jahre einsetzte.
Vielleicht weist die Homogenität des allgegenwärtigen
Begriffs Performance-Kunst, der heute eine breite Palette von
kulturellen Aktionen gattungsmäßig zusammenfaßt, verwaltet
und leitet, und dessen weitverbreitetes Auftauchen das Ende
6 Für eine Diskussion der Geschichtsschreibung nach Jahrzehnten
siehe Frederic Jameson, »Periodizing the 60s«, in: The 60s Without
Apology, hrsg. von Sohnya Sayres u.a., Minneapolis 1984,
S.178-209.
der von dieser Ausstellung untersuchten Zeitspanne markiert,
auch darauf hin, wie sehr sich Kultur konzeptuell von einem
Bewußtsein ihrer eigenen Aktionsbedingungen und Aktions
möglichkeiten entfernt hat. Vielleicht hat dieser Homogeni
sierungsprozeß - der darin deutlich wird, daß man sich von
jeder tatsächlichen Involvierung entfernt und Engagement mit
dem Theoretisieren über Veränderung vertauscht - die Aktion
der Theorie einverleibt, die ihrerseits möglicherweise von
der Aufgabe, die beiden Bereiche in der Praxis in Einklang
zu bringen, völlig überfordert ist.
II. Kommissuren; Kunstaktionen als Objekte
Jackson Pollocks No. 1 (1949) ist ein idealer Ausgangsort.
Obwohl No. 1, wie bei Pollock üblich, auf dem Boden ent
standen war, hing das Bild für die Kamera von Hans Namuth
im Sommer und Herbst 1950 auch als stummer Zeuge in
Pollocks Atelier an der Wand. Die Bilder, die Namuth in einer
berühmten Reihe von Photosessions herstellte, schlagen die
Brücke zwischen Action painting und den ersten Events der
Aktionskunst.^ No. 1 gehört zu einer Reihe von Malaktionen,
von denen jede als einzigartig betrachtet und dementspre
chend betitelt wurde, die jedoch gleichzeitig alle mit- und
untereinander verbunden waren: No. 1 (1948), No. 1 (1949),
One (1950) und LavenderMist (No. 1) (1950). Die Kontinuitäten
in Pollocks Titeln beginnen und enden sozusagen mit einer
Kette von Ähnlichkeiten. Somit bedeutet Pollocks Malerei für
die Ausstellung von Aktionsobjekten im Museum das, was
Lathams Arf and Cutture für einen Text über die ausgestellten
Objekte und Aktionen ist, nämlich ein Verbindungsglied in
einer Bedeutungskette, die in der Aktion ihren Anfang nimmt
und sich in einer kontinuierlichen Reihe von Verknüpfungen
und Wechselwirkungen über Objekte und Texte fortsetzt bis
hinein in die Institutionen und das Leben von kunstinteres
sierten Menschen.
Zentrales Thema der Ausstellung ist die Dimensionaiität zwi
schen Aktionen und Objekten, und alles, was sie nach sich
zieht. Lathams Art and Culture illustriert diese Beziehung mit
viel Wissen und Humor und verwickelt uns in den (textueilen
wie visuellen) künstlerischen Akt und seine kulturelle
Rezeption. Auch Pollock scheint diese Essenz in seinem
exzentrischen Numerierungssystem eingefangen zu haben.
7 Siehe das Diagramm von Pollocks Atelier In E.A. Carmean Jr.s
Aufsatz »L’art de Pollock en 1950«, in; Hans Namuth, UAtelier de
Jackson Pollock. Zu den Arbeiten im Raum zählten neben No. 1
(1949), Autumn Rhythm, an dem Pollock gerade arbeitete. Wo. 32
(1950), One, und in einem angrenzenden Raum Lai/ender Mist
(No. 1)(1950).