Denn ein Bild ist gleichzeitig Teil eines anderen, und beide
werden durch eine Titelschablone zusammengehalten, die
Pollocks Aktionen mit der Arbeit eines Objektkünstiers gleich
setzt. Diese Symmetrie zwischen Objekt und menschlichem
Handeln ist der kritische ästhetische Punkt, mit dem sich
Aktionskunst befaßt; doch diese Symmetrie setzt sich über
einen Zwischenraum hinweg, der seinem Wesen nach
abstrakt ist. Diese Beschreibung ist schwierig zu begreifen
und muß noch konkretisiert werden, um eine genauere
Vorstellung von ebendiesem Raum zu vermitteln, der eine
Kongruenz zwischen Objekt und Aktion erzeugt. Vielleicht
wird er greifbarer, wenn er objektiviert und seine Verknüpfung
mit einem Namen versehen wird. Ich schlage vor, den Begriff
«Kommissur« einzuführen, um umfassender und theoreti
scher über diesen Zwischenraum nachdenken zu können,
auch weil dieser Begriff zudem eine Nähe zum englischen
commitment im Sinn von »starker Verbundenheit« mit sich
bringt, was mir ein zentrales Element der Performance-Kunst
zu sein scheint.
Der Begriff Kommissur ist eine Ableitung von den lateinischen
Wörtern commissura (Verbindungsstelle oder Fuge) und com-
mittere (verbinden, anvertrauen, oder zu treuen Händen
geben: zugleich lateinischer Stamm des englischen to com-
mifj. Neben zahlreichen anderen Bedeutungen bezeichnet
Kommissur in der Anatomie auch den Augen- oder Mund
winkel, an dem sich die beiden Lider oder Lippen trennen.
Stellt man sie sich als Kommissuren vor, könnten die Objekte,
die »aus Aktionen« hervorgehen, die reiche Vielfalt und
Vieldeutigkeit dieses Begriffs erlangen. Zunächst tragen und
vermitteln Objekte, die aus Aktionen heivorgehen (Aktions
objekte), auf die gleiche Art und Weise Bedeutung wie
konventionelle Kunstobjekte (Gemälde, Skulpturen, Assem-
blagen, Installationen): es sind einzelne Gegenstände, die
formal betrachtet werden sollen. Aber was ist mit den
Gebrauchsspuren, die viele dieser Objekte aufweisen, oder
der Bedeutung, die den Aktionen beigemessen wird, aus
denen sie stammen oder an denen sie beteiligt waren? In die
sem Sinn werden Aktionsobjekte zu Kommissuren, die ihre
Abhängigkeit von bedeutungstragenden Handlungen zur
Schau stellen. Wenn man sie als Kommissuren deutet,
erklären die Objekte, die aus Aktionen hervorgehen, wieso
Aktionen sowohl als Kunstwerke (als Objekte) als auch als
Modalitäten Bedeutung tragen, die den Betrachter in einer
Kette von Interdependenzen immer wieder zur Aktion zurück-
8 Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen,
Frankfurt/M. 1977, Abschnitt 621.
führen. Stellt man sich die Objekte als Verbindungen, als
Kommissuren vor, begreift man vielleicht, daß diese Aktionen
künstlerische Verhaltensweisen konstituieren, die wir auf die
gleiche Art und Weise betrachten sollen, in der wir auch das
Objekt anschauen. Als Kommissuren müssen diese Objekte
als mit jenem Verhalten in Verbindung stehend gesehen wer
den, das selbst wiederum danach verlangt, betrachtet zu
werden. Somit wird den Objekten in der Aktionskunst die
Aufgabe anvertraut oder übertragen, als Verbindungen zu
agieren, die zu ästhetischen Konzepten zurückführen. Die
Objekte, die aus der Aktion hervorgehen, müssen, wenn man
sie als Kommissuren sieht, als Zeichen der Verbundenheit mit
dem Betrachter verstanden werden, die sich dem Wunsch
verdanken, Kommunikation über die Handlungen eines
Künstlers herzustellen.
Um Kunst von rein formalistischen Zugangsweisen und von
der Profanisierung des Objekts befreien, versuchten die
Aktionskünstler, sowohl sich selbst als auch die Zuschauer
erneut in eine aktive Erfahrung einzubeziehen, indem sie
Kunst (als Verhalten) wieder in Zusammenhang zum Verhalten
der Zuschauer brachten, Kunstaktionen und ihre jeweiligen
Objekte gehen durch den Körper des Künstlers oder der
Künstlerin in seiner/ihrer materiellen Umgebung zum Be
trachter in der sozialen Welt. Solche Aktionsobjekte sind
Träger einer Information, die durch die /\ktion belebt wird. Sie
künden davon, daß es niemals ausreicht, das Objekt einer
Aktion lediglich anzuschauen, ohne eine enge Beziehung zu
ihm einzugehen, sich auf eine Situation einzulassen, in der das
Objekt den Betrachter in die Aktion zurückzieht, und sich der
Beziehungskreis zwischen agierenden Subjekten, Objekten
und zuschauenden Subjekten schließt.
Das Kommissurenhafte der Aktionskunst legt außerdem
nahe, die Beziehungen zwischen den Phänomenen der
Absicht und der Tat zu betrachten. Wie Ludwig Wittgenstein
feststellte: »Aber vergessen wir eines nicht: wenn >ich meinen
Arm hebes hebt sich mein Arm. Und das Problem entsteht:
was ist das, was übrigbleibt, wenn ich von der Tatsache, daß
ich meinen Arm hebe, die abziehe, daß sich mein Arm hebt?«®
Mit Wittgensteins Beispiel gesprochen, könnte die Aktion des
Künstlers als der Augenblick verstanden werden, der visuel
len Zugang gewährt zu dem, was übrigbleibt, »wenn ich von
der Tatsache, daß ich meinen Arm hebe, die abziehe, daß sich
mein Arm hebt«. Aktionskunst lenkt die Aufmerksamkeit auf
den psychisch-physischen, kognitiv-intuitiven Mechanismus,