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Alison Knowles (mit Philip Corner und Bill Fontana), Gentle surprises for the Ear 
(Nette Überraschungen für das Ohr), 1975. Sammlung der Künstlerin 
Dick Higgins, Symphony 607 - The Divers 
(Symphonie 607 - Die Taucher), 1968. Block Collection 
und nicht die Kunst selbst ist. In diesem Zusammenhang ist 
es hilfreich, sich kurz daran zu erinnern, daß die griechische 
Bedeutung des Begriffs »Ästhetik« die Wörter «aisthanesthai, 
>wahrnehmen<, aisthesis, »Wahrnehmung- und aisthetikos, 
■wahrnehmungsfähig- miteinschließt.«^“ Ästhetik war die 
»Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung«, wurde jedoch 
»schon bald auf die »Wissenschaft der sinnlichen Schönheit 
reduziert«.” Perzeption an sich ist eine Handlung. Sie setzt 
voraus, daß man etwas in Besitz nimmt, etwas erhält oder 
annimmt, und durch genau diesen Akt der Inbesitznahme ent 
steht eine Wissenschaft der sinnlichen Wahrnehmung. 
Aktionskunst unterstützt die Perzeption darin, die dynamische 
Schnittstelle zwischen Intentionalität, Aktualität und dem 
komplexen gesellschaftlichen Kontext von Rezeption und 
Interpretation, in dem sich Kunst ereignet, zu erkennen. 
Aktionskunst fördert die Perzeption und das Wissen über 
sinnliche Wahrnehmung, oder, wie Allan Kaprow es aus 
drückt: 
Indem die Kunst immer weniger Kunst wird, übernimmt sie 
die frühe Rolle der Philosophie als Kritikerin des Lebens. 
Selbst wenn ihre Schönheit widerlegt werden kann, bleibt 
sie doch erstaunlich durchdacht. Und gerade weil Kunst 
mit Leben ineinsgesetzt werden kann, zwingt sie uns, dem 
Ziel ihrer Zweideutigkeiten, der »Offenbarung« von Erfah 
rung, unsere Aufmerksamkeit zu schenken.'^ 
In Aktionen und ihren Objekten wird Erfahrung als etwas 
offengelegt, was sich bezieht. »Beziehung« ist das Thema der 
bemerkenswerten Äktionsserie von Marina Abramovic und 
Ulay aus der Zeit, als das Künstlerpaar zusammen lebte und 
arbeitete. 
Relation in Time fand im Oktober 1977 im Studio G7 in 
Bologna statt und dauerte 17 Stunden. Die Aktion zeigt, wie 
tiefgehend Objekte Aktionen von Subjekten darstellen kön 
nen, die ansonsten unbemerkt bleiben. In Relation in Time saß 
das Paar Rücken an Rücken, das lange Haar zu einem 
gemeinsamen Knoten verflochten, der ihre Hinterköpfe mit 
einander verband und die beiden Künstler aneinanderkettete. 
Die Photoserie von der Aktion zeigt, wie die zunehmende 
Müdigkeit, schwindende Konzentration und das Gewicht der 
beiden Körper immer stärker an dem sorgfältig verflochtenen 
Haar zog und zerrte, bis es der allzugroßen Belastung nach 
gab - und schließlich aus dem Knoten, der die beiden 
zusammenhielt, herausschlüpfte. Obwohl diese Haarligatur 
kein Objekt ist, das man ausstellen, kaufen oder verkaufen 
kann, so war sie doch ein künstlich geschaffenes Ding, ein 
Knotenpunkt, über den die Künstler eine Form ihres Äus- 
tauschs visuell darstellten. Das allmähliche Äufdröseln und 
Auflösen des Haarstrangs ist Ausdruck physischer Kräfte, von 
Bewegung und Spannung, von einer unsichtbaren Dynamik 
und einem Magnetismus, der das Paar zunächst zusammen 
brachte und schließlich wieder trennte, 
Beziehung wird unter veränderten Umständen zu etwas völ 
lig anderem. In Gentle Surprises for the Ear (1975) las Alison 
Knowles zusammen mit den Komponisten Philip Corner und 
Bill Fontana weggeworfene Objekte von der Straße auf und 
stellte eine Beziehung zu ihnen her. Als Weiterentwicklung 
früherer Klang-Arbeiten von Knowles begannen die drei 
Künstler Überreste zu sammeln, Dinge, deren Herkunft, 
Identität und Charakter verlorengegangen oder beschädigt 
worden waren. Diese Bruchstücke, Fragmente weggeworfe 
ner Gegenstände, konnten in einer Hand gehalten werden; 
eine winzige Metallfeder mit einer Schlaufe am Ende, eine in 
der Hälfte auseinandergebrochene Single, ein Teil von einer 
Bürste oder einem Kamm, zwei Stecknadeln mit weißen 
Köpfen, ein geknickter Plastikstrohhalm, zahlreiche undefi 
nierbare Gegenstände und so weiter. Wie wertlos diese Dinge 
auch sein mochten, für Knowles, Corner und Fontana wurden 
sie zur Quelle ihrer Klangproduktion. Nachdem sie mit dem 
Einsammeln der Objekte fertig waren, versahen die Drei jedes 
einzelne mit einem »Ticket«, auf dem handschriftlich vermerkt 
war, wie es als Musikinstrument zu benutzen sei. Dieser 
Prozeß wurde nicht auf einmal durchgeführt, sondern von Zeit 
zu Zeit über mehrere Jahre hinweg fortgesetzt. Schon das 
Beschriftungssystem erforderte einen aufmerksamen Um 
gang mit dem Objekt und eine sorgfältige Analyse seiner 
Eigenschaften und seines Charakters im Hinblick auf sein 
Potential zur Erzeugung von Geräuschen, Die Anweisungen 
10 Siehe Michael Inwood, »Commentary«, zu; Hegel's Introductory 
Lectures an Aesthetics, London 1993, S. 98. 
12 Allan Kaprow, «Manifesto-, in: Manifestaes, a Great Bear 
Pamphlet, New York 1966, S.13. 
11 Ibid.
	        
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