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Die Sprache setzte die »ästhetische Distanz«, die die tradi
tionelle Kunstkonvention im Betrachter/Objekt-Zweiklang ver
langt, wirkungsvoll fort. Aber in Zusammenhang mit der
Aktion funktionierte die Sprache als Kommissur, die Acconci
zur Interaktion mit dem Besucher und umgekehrt verpflich
tete. Aggressiv und gewalttätig verwandelte Sprache eine
entsensualisierte Leere in eine sexuelle Bedrohung, auf die die
Besucher aktiv reagieren und an der sie teilhaben mußten,
und sei es nur, indem sie sich die Finger in die Ohren stopften
und die Galerie verließen. Der sprachliche Angriff in Acconcis
Arbeit bot genau das Schauspiel, das sein verborgener
Körper nicht aufführen wollte.
In den achtziger und neunziger Jahren war die sprachge-
stützte Performance in den Vereinigten Staaten und in Europa
vorherrschend. Solche Aufführungen paßten besser zu den
konnotativen und denotativen Bedeutungen von Theatralik,
die in dem Begriff »performance art« mitschwingen. Darüber
hinaus scheint eine solche Verschiebung nicht nur vernünftig,
sondern angesichts der allgemeinen Ermüdung, die Ende der
siebziger Jahre überall auf der Welt spürbar wurde, auch
unbedingt notwendig gewesen zu sein. Schließlich sind die
drei Jahrzehnte, die die Ausstellung umfaßt, von außer
gewöhnlichen Polen psychologisch anspruchsvoller Erfah
rung geprägt. Die Verwüstung nach dem Zweiten Weltkrieg
wurde von dem bemerkenswerten Wirtschaftsaufschwung in
Japan und Deutschland und der Produktion eines verschwen
derischen Güterüberschusses abgelöst, und zwar sowohl in
Form von konsumierbaren Waren als auch in Gestalt einer
überwältigenden Entwicklung moderner Technologien. Das
alles steigerte die Existenzangst nur noch, die die bisher nie
dagewesene Bedrohung durch eine nukleare Vernichtung im
Kalten Krieg immer mehr vertiefte und weiter verbreitete - eine
Situation, die der britische Flappening-Künstler Jeff Nuttall
1968 als »Bomb Culture« bezeichnete; so lauteten jedenfalls
Titel und Thema seines außergewöhnlichen Buchs, das die
Geschichte der »Ban-the-Bomb«-Bewegung in England Ende
der fünfziger Jahre nachzeichnet, ein Streifzug quer durch die
internationale subkulturelle Revolution in Kunst, Dichtung und
Musik des Underground, der London als Sammelbecken
diente.^®
Gleichzeitig setzten soziale Bewegungen von der Bürger
rechtsbewegung bis zum Feminismus neue Maßstäbe für
Identitätspolitik, Multikulturalismus und Postkolonialismus,
die sich in den siebziger Jahren voll entfalteten und von sich
29 Jeff Nuttall, Bomb Culture, New York 1968.
behaupten konnten, einen historischen Paradigmenwechsel
sowie den Anbruch der »Postmoderne« ausgelöst zu haben.
Doch der Vietnamkrieg versetzte dieser turbulenten Zeit den
Todesstoß. Dieser verabscheuungswürdige, unmoralische
und blutige Kampf, der weltweit vor dem Fernseher verfolgt
werden konnte, endete mit einem Pyrrhussieg für eine winzige
kommunistische Nation, die zunächst über die Franzosen,
dann über die Chinesen und die Sowjets gesiegt hatte, und
schließlich gegen die USA gewann und sich mit Demütigung
und Desillusionierung an dieser vermeintlichen Supermacht
und selbsternannten Anführerin der Weltdemokratie rächte.
Als die siebziger Jahre zu Ende gingen, war dies nicht nur das
Ende eines Jahrzehnts, sondern der unrühmliche Abschluß
einer traumatischen Ära von Kampf und Verfall. Der immate
rielle innere Schmerz dieser Zeit fand seine perfekte und
selbstzerstörerische Verkörperung in dem materiellen, sicht
baren Zeichen der Sicherheitsnadel, die sich junge Punks
durch die Flaut stachen. Das symmetrische Gegengewicht zu
diesem Bild der Entmutigung und Entfremdung bildete eine
internationale Discoszene, die selbst eine Form der Aktion
war, ein Ausdruck der weit verbreiteten Abwendung von
umfassenderen Überlebensfragen, welche paradoxerweise
und unvermeidbar durch die Verweigerung hindurch in den
Diskurs schlüpften, wie der Song der Bee Gees »Staying
Alive« zeigte.
Wobei es keinen kläglicheren und tragischeren Akt des »Am-
Leben-Bleibens« gibt als den Versuch, sein Leben (als eros)
gegen die akute Erfahrung der eigenen verzweifelten
Erstarrung bis zum Tode (thanatos) zu behaupten. Das ist das
pathetische Bild, das die brutale Erniedrigung durch John
Duncans Abscheu in Blind Date (1980) wachruft. Im Mai
kaufte Duncan in Tijuana einen Frauenleichnam für sexuelle
Zwecke und zeichnete seinen Geschlechtsakt mit der Leiche
auf. Nach dieser Erfahrung »unbeschreiblicher Selbst
verachtung« kehrte er zurück und unterzog sich einer Vasek
tomie, um, wie er später schreibt, »sicherzugehen, daß der
letzte zeugungsfähige Samen, den ich besaß, in einem
Kadaver endete«.^“ Die Photos, die Duncan von der Operation
machen ließ, nehmen Orlans ebenso selbstzerstörerische/
selbsterneuernde Schönheitschirurgie in den neunziger
Jahren vorweg, Duncan mußte sechs Wochen auf die
Vasektomie warten - die damals in Kalifornien vorgeschrie
bene Wartezeit; nach dem Eingriff setzte er dann eine
Vorführung von Blind Date vor einem Publikum an, dem er
30 Louis MacAdams, »Sex with the Dead«, in: Wet, 30, März-April
1981, S. 60.