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sein Erlebnis schilderte mit der Erklärung, er »wolle zeigen,
was mit Männern passieren kann, denen beigebracht wurde,
ihre Gefühle zu ignorieren«. Linda Burnham, die unermüdliche
und mutige Herausgeberin der Zeitschrift High Performance
(1976-1997), weigerte sich, einen Bericht über Blind Date zu
publizieren, da sie die Performance für »moralisch hochgra
dig verwerflich“ befand und sich lieber »der Zensur schuldig«
machte, als »zu verantworten, dieses Material jedem zugäng
lich zu machen, vor allem meinen Kinderno.^' Als sie erklärte,
sie sähe darin die »Vergewaltigung« einer Leiche, deren »Geist
ihren Körper vielleicht noch nicht verlassen« habe, antwortete
Duncan, es sei wie »Sex mit Fleisch« gewesen.®
So abstoßend Duncans verzweifeltes Event auch gewesen
sein mag, der Künstler stellte dennoch seinen eigenen qual
vollen Mangel dar, einen geradezu greifbaren, psychischen
Schmerz. Denn innerhalb der epistemologischen Räume, die
durch eine weiße, männliche Hegemonie befestigt sind, ent
hüllt ein solcher Akt die phallische Herrschaft, die ihre Virilität
um jeden Preis sicherstellen muß. In Blind Date wird dieses
Ideal als Karikatur ins Extrem geführt. In Wahrheit entlarvt die
Performance aber die Realität der Impotenz, des Leidens, das
aus der Tatsache resultiert, daß der Künstler, während er die
Darstellung weißer Männlichkeit in all der ihr zugeordneten
Macht verkörpert, psychologisch den entmachteten Raum
der leblosen Frau beschläft, die er vergewaltigt und sich selbst
dabei zu Tode fickt: »Ich habe die Fähigkeit, mich selbst zu
akzeptieren, aufs Spiel gesetzt. Ich habe die Fähigkeit, Sex zu
haben, aufs Spiel gesetzt... und die Fähigkeit zu lieben.'>®
Die extreme Selbstverachtung in Duncans Aktion kann mei
nes Erachtens auf Erfahrungen zurückgeführt werden, von
denen der Künstler fünf Monate später anonym in einer
Installation mit dem Titel IfOnly We Could Teil (1980) berich
tet. In einem Text, der den verbalen Mißbrauch eines Kindes
beschreibt, finden wir hier Aussagen wie: »We hate you little
boy« (Wir hassen dich, kleiner Junge), »We always knew you’d
be half-human baggage« (Wir haben immer gewußt, daß du
nur eine halbmenschliche Last sein wirst), »You're a blight on
our lives« (Du bist ein Schandfleck in unserem Leben), »Why
don’t you do everyone a favor and kill yourself« (Warum tust
du uns nicht allen einen Gefallen und bringst dich um) und
»DIE.DIE.DIE.DIE.DIE.DIE.DIE.« (STIRB.STIRB.STIRB). In
jedem Beispiel für Gewalt oder Zerstörung in der Kunst, ins
besondere wenn sie unmittelbar gegen den Körper des
Künstlers gerichtet ist, klingt ein stets präsentes Trauma aus
der Vergangenheit nach. Eine abwesende Anwesenheit belebt
die unorganisierten, psychischen Erfahrungen des Künstlers,
sei es unbewußt oder bewußt, und treibt die Produktion des
Werks an. Solche Kunst ist eine Eröffnung, ein visuelles
Zeichen für das Unsichtbare; der eigentliche Zerstörungs
prozeß aber läuft in der Psyche des Künstlers ab, Duncans
Kunst stellt ein Trauma dar und verleiht ihm Gestalt. Auf diese
Art bieten Kunstaktionen und Performances einen Zugang zu
den verborgenen, unaussprechlichen Tiefen individuellen
Leids, wie ihn nur wenige andere Darstellungsmittel ermögli
chen. Ich interpretiere Blind Date als Warnsignal in großer Not.
Blind Date - so verwerflich es sein mag - handelt von vielen
Körpern und Köpfen, für die Duncans Akt stellvertretend
Aufmerksamkeit, Empathie und Beistand einfordert. In diesem
Geist betraten Ende der siebziger Jahre viele Künstler die
Bereiche des dissoziierten kulturellen Unbewußten, um des
sen Auswirkungen in persönlicher wie gesellschaftlicher
Hinsicht offenzulegen; nicht alle aber verfügten über die Gabe,
die Erkenntnisse, die sie aus solchen Handlungen gewannen,
für einen Heilungsprozeß in ihrem eigenen täglichen Leben
neu zu strukturieren, neu zu verknüpfen und in neue Bahnen
zu lenken.
Dieselbe Art von Schmerz, wie sie in Duncans Arbeit zum
Ausdruck kam, zeigte sich auch bei seinem Freund und
Mentor Paul McCarthy in seinen skulpturalen Übersetzungen
inneren Schmerzes in visuelle Kommunikation. In so zutiefst
beunruhigenden Performances wie Meatcake (1974) und
Sailor’s Meat (1975) schuf McCarthy visuelle Modelle, mittels
derer äußerst flüchtige und exzessiv selbstverleugnende
innere Bilder in einer Reihe erfundener körperlicher Aktionen
vermittelt wurden, die für Vorgänge in dem betäubten und
häufig amnesischen Verstand eines Trauma-»Überlebenden«
standen. Die performative Sprache des Traumas - die ich für
eine skulpturale Sprache halte - inkludiert das Sichtbar
machen der Dissoziation mittels einer ziellosen Bewegung
durch Zeiten und Räume. So könnte sie zum Beispiel in einem
betäubten, repetitiven Hin und Her zwischen Räumen, in
einem ständigen Kreisen um Tische und/oder anderen kör
perlichen und verbalen Akten - wie in der Arbeit von McCarthy
- dargestellt werden. Man könnte sie durch die seibsternied-
31 Ibid.
32 Ibid., S. 61.
33 ibid.