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Psychiatrie, sein Buch The Prima! Scream. Er begann seine
Einleitung mit dem Bericht seines Patienten »Danny«, der
Ortiz’ Self-Destruction miterlebt und Janov gebeten hatte, ihm
zu helfen, kritische frühe Erfahrungen seines Lebens auf ähn
liche Weise nachzuspielen, wie es Ortiz in seiner Aktion
vorgeführt hatte. Janov erklärt, die Aktion von Ortiz »hat mei
nem Berufsleben eine neue Richtung gegeben«.^' Für die
Entwicklung seiner Urschreitheorie verwies Janov - wie vor
ihm Ortiz - auf Otto Ranks Begriff des Geburtstraumas [Das
Trauma der Geburt, 1929) und Jacob Morenos Arbeit über das
Psychodrama {Who Shall Survive, 1953). Populär wurde die
Urschreitheorie paradoxerweise jedoch nicht durch Ortiz,
sondern durch Yoko Ono und John Lennon, die nach der
Erscheinung seines Buchs mit Janov arbeiteten. Auch in der
Arbeit von Otto Mühl war die Urschreitherapie von zentraler
Bedeutung.
Ortiz war Ende der fünfziger Jahre durch die Montagetechnik
im Film zu der Vorstellung gelangt, Zerstörung als einen krea
tiven psychologischen und physikalischen Prozeß zu be
trachten. Zwischen 1960 und 1967 zerstörte er Einrichtungs
gegenstände (Matratzen und Sessel) und setzte ihre Über
reste zu skulpturalen Objekten zusammen; so entstand seine
Arbeit Archaeological Finde (1961-67). 1962 schrieb er
»Destructivism: A Manifeste«, das erste von mehreren Mani
festen zum Einsatz von Zerstörung in der Kunst. Zwischen
1965 und 1970 inszenierte er zahlreiche »Destruction Ritual
Realizations“, zu deren berühmtesten seine ritualisierten
Klavier-Zerstörungen zählen. Anfang der siebziger Jahre
wandte er sich wieder der Psychologie sowie einzelnen Be
reichen des »human potential movement« zu, er studierte
Tantrismus, Bioenergetik, Makrobiotik und psychische Heil
verfahren und unterzog sich einem -Rebirthing' im Rocky
Mountain Healing Arts Institute. 1979 widmete er sich bereits
ganz der Entwicklung eines Verfahrens für »inner visioning«
und gelangte darüber zu seiner »Physio-Psycho-Alche-
mie«, einer Theorie zur psychologischen und physikalischen
ästhetischen Aktion, für die er 1982 vom Columbia Teachers
College die Doktorwürde erhielt.
Ortiz erfand, wie nach ihm auch McCarthy und Duncan, visu
elle und physikalische Diskurse über all das, was der be
wußten Verbalisierung verborgen bleibt. Die Sprachen, die
diese drei Künstler geschaffen haben, sind Körpersprachen
37 Siehe Arthur Janov, The Primat Scream: Primat Therapy, the Cure
for Neurosis, New York 1970,3.9-11,
des Mißbrauchs, die den Mißbrauch denunzieren, der dem
Körper zugefügt und vom Unbewußten sublimiert wurde. Die
Mißbrauchsrhetorik, derer sich ihre Aktionen bedienen, soll
ihre Denunzierung des Mißbrauchs all der Wesen und Werte
zeigen, für die es keine Worte mehr gibt, die aber durch diese
Verderbtheit handeln. Die Aktion wird zur Negation all dessen,
was sie zur Schau stellt und beklagt. In diesem Sinn findet
dort, wo etwas wiederhergestellt wird, eine doppelte Negation
statt. Und dieses restaurative Element erlaubt es uns, ihre
Arbeit weiter zu betrachten.
Wie befreiend diese Arbeit für die einzelnen Künstler und viele
der Zuschauer auch gewesen sein mag, so war sie doch auch
unerträglich, anstrengend, zu theatralisch und dramatisch.
Michael Peppe, seines Zeichens selbst Performance-
Künstler, beschrieb diese emotionale Sättigung 1982 in
seinem Aufsatz mit dem Titel »Why Performance Art Is So
Boring«. Der aufschlußreiche und amüsante Artikel spricht
von der Notwendigkeit, vom Streß dieser psychologisch über
fordernden Arbeiten erlöst zu werden. In einer Parodie der
Aktionskunst malte sich Peppe folgende stereotype
Discoszenen-Performance der frühen Achtziger aus:
Du betrittst den »Raum«. Ein Mädchen mit Stachel
haaren spielt E-Gitarre mit einer Nagelfeile. Ein bieichge-
sichtiger Kerl mit Ring im Ohr rasiert sich den Schädel. Es
läuft eine Kassette von den Mutants, darüber ertönt die
Stimme des Mädchens, das den Inhalt ihres Badezim
merregals aufzählt. Der Hintergrund ist absichtlich so be
malt, daß es kindisch aussieht. Darauf werden Vorstadt-
Dias projiziert. Der Kerl fängt an zu erzählen, wie seine
Eltern ihn gezwungen haben, Macho zu sein. Das Mäd
chen beginnt mit der Feile auf die Gitarre einzuschlagen.^®
Peppe lokalisierte das Problem in der »Me Generation« der
späten siebziger und frühen achtziger Jahre, der Nachfolge
generation der »wilden Freiheit und engagierten Politik der
Assassination Era, [in der] die Kunst-als-Zuflucht mit minima-
listischer Langeweile die Kunst-als-Revolution ersetzte...
etwas, das man ertragen muß...ein Anruf während des Abend
essens von einem stinklangweiligen Onkel«.®® Peppe krönte
Laurie Anderson zur Königin des »A.P. E.M.E. (Art Perfor
mance Equals Minimalism as Entertainment)« und stellte
sarkastisch fest, daß sie zwar »>Setzen wir: X = X- brillant dar
gelegt [hatte] - dies jedoch völlig belanglos ist, da so kulturelle
38 Michael Peppe, »Why Performance Art Is So Boring«, in: High
Performance, 5,1, Frühjahr-Sommer 1982, S. 3-12.
39 Ibid., S. 4-5.