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Valie Export, Tapp und Tastkino, 1968
Jahre später, hörte Fleming auf, unter seinem Pseudonym
aufzutreten.® RodForce, eine Kreuzung zwischen Superman
und Clown, war am Ende zu einem »Kerker meiner eigenen
Erwartungen und der meines Publikums« geworden.
»RodForce hat es nicht mehr gebracht«, räumt der Künstler
spöttisch ein. Nachdem er die Person begraben hatte, ver
spürte er eine »Freiheit, die es mir ermöglichte, ohne Erektion
herumzulaufen«.™
Die radikale Hinterfragung der Geschlechterrollen, die Ende
der sechziger Jahre begann, hat sich in der Entwicklung des
Feminismus bis heute fortgesetzt. Anfangs mußte die
Frauenbewegung darum kämpfen, »andere in der Neuen
Unken (Frauen wie Männer) dazu zu bringen, die Unter
drückung der Frau ernst zu nehmen'* und ihre Existenz quer
durch die Epochen wie auch ihre grundlegende Bedeutung
»als Prinzip sozialer Organisation« anzuerkennen.Da die
Frauenbewegung eng mit der Neuen Linken verbunden war,
reflektierte sie auch den Einfluß des Marxismus auf das kriti
sche Denken; das bedeutete, daß Frauen ihre Unterdrückung
dadurch zu erklären versuchten, daß sie sie durch und über
die marxistischen Diskurse beschrieben und Betrachtungen
über Reproduktion und über die Arbeit, die die Erziehung und
Sorge um andere Menschen bedeutet, in die allgemeineren
Theorien von Produktion und Arbeit miteinbezogen. Um 1970
hatten einige Feministinnen bereits begriffen, daß sie durch
die Betonung der Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern
die Anliegen der Frauen besser vorantreiben konnten,
während andere - Anhängerinnen des radikalen oder »gyno-
zentrischen« Feminismus - immer noch die Unterschiede
zwischen den Geschlechtern herausstellten.'“ Innerhalb die
ser beiden Richtungen der frühen Siebziger tauchten noch
weitere Abspaltungen auf. Schwarze Feminisfinnen argumen
tierten, daß allein der Begriff »Schwarze Feministin« die
afro-amerikanische Frau ungeachtet ihrer Erfahrungen als sol
che bereits klassifiziert, und wiesen darauf hin, daß eine
Schwarze Feministin genausogut Frederiok Douglass oder
William E. B. DuBois in Frauengestalt sein könnte.
Diesen komplexen und heterogenen Debatten wurden reduk-
tionistische Stempel aufgedrückt: Der Begriff »essentia-
99 1986 lud mich Fleming ein, an einer seiner Performances mit
zuwirken. Ich sagte zu unter der Bedingung, daß er den Namen
RodForce ablegen sollte, der mit den Performances, die wir
zwischen Ende 1986 und Ende 1992 zusammen gemacht haben,
nichts zu tun hatte.
100 Sherman Fleming (wie Anm. 93), S. 7.
listisch« stand für die erste Generation von Feministinnen (die
oft mit einem gynozentrischem Feminismus in Verbindung
gebracht wurden), während die zweite Generation als »kon
struktivistisch« oder »poststrukturalistisch« (stark von den
psychoanalytischen Ansätzen Jacques Lacans und der Derri-
daschen Dekonstruktion beeinflußt) bezeichnet wurde. Lacan
und Derrida kritisierten jenen Subjektbegriff, der von »auto
nomen, vorgeformten Konzeptionen des Subjekts und von
Sprachtheorien [ausging], die Bedeutung in begrifflichen oder
essentialistischen Formulierungen konstruierten«, als Aus
wüchse einer »phallozentrischen« und »logozentrischen« Logik.
Mira Schor hat zusammen mit den feministischen Künst
lerinnen Cheri Gaulke und Suzanne Lacy und Kunst
historikerinnen wie Moira Roth und Lucy Lippard, die allesamt
besonders in der frühen Phase des Feminismus aktiv waren,
die Ursprünge der feministischen Performance-Kunst in die
ser Zeit dokumentiert. Roth stellt eine Verbindung zwischen
feministischen Performances und feministischem Straßen
theater her, wie es sich zum Beispiel in den Aktionen beim
»Stören der Miss America-Feierlichkeiten in Atlantic City
1968« und bei »der Verschmutzung jungfräulicher Museums
räume mit rohen Eiern und Damenbinden als Protest gegen
den geringen Anteil an Künstlerinnen auf der Biennale des
Whitney Museums in New York« 1970 zeigt.'® Ferner weist
sie darauf hin, daß die Anfänge der Performance art an der
amerikanischen Ostküste untrennbar mit Flappenings, expe
rimentellem Tanz, experimenteller Musik, Minimal art und
Konzeptkunst verwoben sind. Die West Coast-Performances
hatten laut Schor ähnlich vielfältige Wurzeln, so das
'»Improvisierte Theater« von Rachel Rosenthal, Ann Halprins
und Pauline Oliveros experimentelle Musik und experimentel
len Tanz, die prozeßorientierte, ökologische, minimalistische
Arbeit von Barbara Smith und Bonnie Sherk sowie das
»Feminist Art Program< in Fresno unter der Leitung von Judy
Chicago. Die meisten amerikanischen Chronologien beginnen
mit dem »»Consciousness-raising« (CR), das in vielen Zentren
stattfand, so beispielsweise im Rahmen des Fresno Feminist
Art Program (initiiert von Judy Chicago), des Feminist Art
Program an der Cal Arts (1971, unter der Leitung von Chicago
101 Linda Nicholson (wie Anm. 76), S. 1-2.
102 Siehe Iris Young, »Humanism, Gynocentrism and Feminist
Politics«, in: Hypatia: A Journal of Feminist Philosophy, 3,
Sondernummer des Women’s Studies International Forum, 8, 3,
1985, S. 173-183.
103 Moira Roth, The Amazing Decade: Women and Performance Art
in America 1970-1980, Los Angeles 1983, S. 16.