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Kazuo Shiraga, Dom ni idomu (Kämpfen mit Schlamm),
1955
führung dieser bewußt explosiven Werke erreichte er eine hohe
Geschicklichkeit durch die Wiederholung von völlig unkon
trollierbaren Aktionen, sowohl hinsichtlich der Farbwahl -
Orange-, Rot- und Schwarztöne, die auf Feuer und Zerstörung
anspielten - als auch durch seine zunehmend im voraus fest
gelegten Handlungen. Im gleichen Maße wie seine Technik ent
wickelte sich die Theatralität der Bildherstellung. Shimamoto
arbeitete dicht vor der Leinwand, hüllte sich von Kopf bis Fuß
ein und trug eine Schutzbrille, wobei seine Explosionen Was
serfälle aus Farbe schufen. Für die »First Gutai On-Stage Art
Exhibition« (1957), die in der Ausgabe vom 8. September der
New York Times rezensiert wurde, ließ Shimamoto einen großen
weißen Zylinder langsam von den Dachbalken herab, zer
schmetterte Ihn mit einem Stock, und verursachte so eine große
Explosion fallender Kugeln.
Pollock, Gage, Fontana und Shimamoto strebten danach, die
Oberfläche des Bildes aufzubrechen oder zu durchstoßen, die
Autorität der Bildoberfläche in Frage zu stellen, und Risiko,
Zufall und das Unbewußte in die kreative Handlung einzuführen
- kurzum, in die Leere zu springen. In den USA, Europa und
Japan schufen diese Künstler gleichzeitig als direkte Antwort
auf die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und auf das dar
aus resultierende Bewußtsein menschlicher Fragilität in der Welt
nach dem Holocaust und der Atombombe eine auf Zeitlich
keit basierende, brisante Vision. Diese Vision sollte für die große
Zahl der Künstler, die für ihre Einflüsse offen war, beherrschend
werden.
Gutai
Die 1954 von Jirö Yoshihara in Japan gegründete Gutai
Bijtsu Kyokai (Gutai-Kunstvereinigung) bestand aus unter
schiedlichen Künstlern, die die vernichtenden Erfahrungen des
Zweiten Weltkrieges durchlebt hatten, die für die Japaner in
den Explosionen der Atombomben in Hiroshima und Naga
saki kulminierten. Die vor diesem historischen Hintergrund ent
standenen Werke weisen überraschende Ähnlichkeiten mit dem
Abstrakten Expressionismus und dem Informel, dem im
Europa der Nachkriegszeit vorherrschenden Modus gestischer
Abstraktion, auf. Yoshiharas Auffassung von Gruppenakti
vitäten, gemeinsamen Anstrengungen und der wachsenden
internationalen Bedeutung der Abstraktion, die sich mit sei
nem allgemeinen Enthusiasmus für die Organisation großer
Ausstellungen verband, inspirierten Shimamoto und andere
jüngere japanische Künstler, die Yoshiharas Streben nach einer
künstlerischen, von Traditionen befreiten Sprache unterstütz
ten. Obwohl er dem Erbe der Kalligraphie und anderen tradi
tionellen Genres verpflichtet blieb, ermutigte Yoshihara seine
Studenten, Malerei in ein stärker prozeßorientiertes und vom
Theater inspiriertes, improvisierendes Medium zu verwandeln.
Dennoch haben Kunsthistoriker dazu geneigt, die Malerei und
die Performances der Gutai-Gruppe separat zu behandeln -
eine Tendenz, die aus dem Bruch zwischen Kaprow und Michel
Tapie, einem einflußreichen französischen Kritiker, der die Arbeit
der Gutai-Gruppe stark unterstützte, resultierte. Während Tapie
aus dem Wunsch, ihre Nähe zur Kunst des Informel zu be
tonen und seine kommerzieilen Interessen zu fördern, eine Les
art der Werke der Gutai-Gruppe verfolgte, die die Malerei in
den Mittelpunkt stellte, sah Kaprow in ihren Arbeiten Vorläufer
der Happenings. Im besten Fall sind die stark an die Vorstel
lungskraft appellierenden Gutai-Werke Objekte und Aktionen
zugleich. Wenn Pollock die mythische Verkörperung des
Action painting darstellt, so ist Kazuo Shiraga der vollkom
menste und facettenreichste Repräsentant von Gutai. Die
Eigenart und äußerste Klarheit seiner Aktionen und Malereien
sind eine echte Vorwegnahme der expressiven visuellen
Gesten der Happenings. Als die deutlichste Verbindung zwi
schen Pollock und dem Abstrakten Expressionismus, zwischen
Yves Klein und den Nouveaux Realistes, sowie den Wiener
Aktionisten, führte Shiraga Aktionen durch, die sich drama
tisch in Filme übertragen ließen. Anders als für Pollock war
die Kamera für ihn von Anfang an ein integraler Bestandteil
seiner Aktivitäten. Die Medien konnten Shiraga, ebenso wie
Pollock, problemlos in einem Satz zusammenfassen: Während
Pollock »Jack the Dripper« getauft wurde, war Shiraga der
Künstler, »der mit seinen Füßen malte«. In beiden Fällen, dem