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Dripping und dem Schlittern, konnte niemand der Einzigar
tigkeit ihrer Techniken mehr in die Nähe kommen.
Shiragas Ein Werk mit seinem Körper herstelien und Kämp
fen mit Schlamm (1955) waren die körperlichsten gestischen
Aktivitäten, die mit Gutai in Verbindung gebracht werden. Unter
den aufmerksamen Blicken der Kameras, in Anwesenheit
von Photographen und Filmemachern, die buchstäblich in den
Kreis aus Tonschlamm eintraten, führte Shiraga für die Nach
welt einen leidvollen, gewaltsamen, gestischen Akt auf. Er
kämpfte mit dem Lehm wie die Maler des Action painting mit
ihren Kompositionen; er preßte, rang, kroch, gestikulierte
und ging unter. Das Ergebnis war im wesentlichen ein zwei
dimensionales Gemälde aus Lehm, das ähnliche figurative
Merkmale aufwies wie Kleins Anthropometrien und die
Werke von Stuart Brisley und David Flammons in den siebzi
ger Jahren. Die Photodokumentation befindet sich im Gutai-
Archiv des Ashiya City Museum of Art and Flistory.
Diese Aktion führte direkt zu Shiragas charakteristischsten Wer
ken, die er mit den Füßen ausführte. Er bedeckte seine Füße
mit Farbe, hängte sich mit Flilfe eines Seiles auf, schwang über
einer auf dem Boden ausgebreiteten Leinwand hin und her
und trug dabei die Farbe auf. Er erklärte den Ursprung dieser
Technik in dem Artikel »Only Action«, der am 20. Oktober 1955
in der Zeitschrift Gutai erschien: »Als ich erstmals das ent
deckte, was mein persönliches Talent zu sein schien - als ich
mich dazu entschloß, >nackt< zu sein und alle konventionellen
Vorstellungen hinter mir zu lassen -, flogen Formen aus dem
Fenster und die Techniken glitten von meinem Malmesser ab
und zerbrachen. Vor mir lag ein entsagungsvoller Weg zur Ori
ginalität. Laufe vorwärts, dachte ich, laufe und laufe, es ist
gleichgültig, ob du hinfällst. Unversehens hatte sich mein Mes
ser in ein Stück Flolz verwandelt, das ich ungeduldig fortwarf.
Laß es mich mit den Fländen, mit den Fingern tun. Und während
ich so lief, und daran dachte, daß ich mich vorwärtsbewegte,
fragte ich mich: Warum nicht die Füße? Warum male ich nicht
mit meinen Füßen?«'®
Ebenso wie Shimamotos Palette explosiver Orange- und Rot
töne tendieren Shiragas Fußmalereien zu stark gesättigten Far
18 Kazuo Shiraga, »Only Actlon«, in: Gutai, 3,20. Oktober 1955,
S.22; Zit. nach: Alexandra Munroe (wie Anm.16), S. 372 f.
19 Aus einem Gespräch mit dem Künstler.
ben, und in zweiter Linie zu Blau- und Purpurtönen. Doch das
Umherschwingen erlaubte dem Künstler, sich in einem krei
senden Tanz aus Achtern, Wirbeln und Arabesken zu bewe
gen, der der brutal kraftvollen Art des Farbauftrag scheinbar
entgegengesetzt war - eine Technik, die er immer noch anwen-
det. Auf die Frage, wie er eine derartig konvulsivische Akti
vität im Kontext traditioneller japanischer Kunst hatte entwickeln
können, antwortete er, daß es im Japan der ersten Flälfte der
fünfziger Jahre größere experimentelle Freiheiten gab als
heutzutage. Die göttliche Einzigartigkeit des japanischen
Imperiums war aufgrund des verlorenen Krieges völlig de
montiert worden; die USA hatten unter der Leitung von Gene
ral Douglas MacArthur eine neue politische und wirtschaftli
che Ordnung etabliert. Diese radikal veränderte religiöse und
kulturelle Landschaft bildete eine Leere, die so anarchische
Flandlungen wie das Malen mit den Füßen zuließ.'®
Ein anderer Gutai-Künstler, Akira Kanayama, machte Arbei
ten, die, wie er sagte, »Shiragas Absichten diametral ent
gegengesetzt sind. Ich interessiere mich für Konzepte.«®“ Weni
ger als ein Jahrzehnt nach Pollocks ersten Drippings kon
struierte Kanayama etwas, das er als ein objektives Mittel zur
Flerstellung von Malerei durch mechanische Eingriffe ansah.
Anstatt die Farbe wie Pollock in einem intuitiven Tanz zu trop
fen und zu gießen, stellte Kanayama ein ferngesteuertes Spiel
zeugauto her, das einen mit Farbe gefüllten Behälter trans
portierte. Unter den aufmerksamen Blicken von Photographen
und Filmemachern malte er, indem er das Auto über die vinyl
beschichtete Leinwand steuerte. Anstatt im Bild zu sein wie
Pollock, blieb Kanayama außerhalb. Seine Venwendung einer
mechanischen Aktion, die offensichtliche Ähnlichkeiten mit
Jean Tinguelys zwei Jahre später entstandenen Meta-matics
hat, sollte sich als prophetisch erweisen: nicht nur für die
mechanischen Werke der sechziger Jahre, sondern sogar noch
unmittelbarerfür Arbeiten derneunziger Jahre wie Tatsuo Miya-
jimas Running Time, in dem motorisierte Autos mit digitalen
Dioden venwendet wurden, und Yukinori Yanagis Wandering
Position, in der Ameisenstraßen mit Kreide auf den Boden
gezeichnet werden. Wie Gage untersuchte Kanayama Zufälle im
20 Akira Kanayama, zit. nach: Alexandra Munroe (wie Anm.16),
S.89.