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Hannah Wilke, S.O.S. Starification Object Series, An Adult Game of Mastication 
(S.O.S. Starerzeugungs-Objekt-Serie, Ein Kauspiel für Erwachsene), Box, 1974. 
Leihgabe des Estate of Hannah Wilke and Ronald Feldman Fine Arts, New York 
1962 begann ich ein Loft-Environment aus großen 
Paneelen zu konstruieren, die mit rhythmisch verteilten 
Farbakzenten, Spiegel- und Glasfragmenten, Licht 
elementen, rotierenden Regenschirmen und motorbetrie 
benen Teilen verbunden waren. Ich arbeitete mit meinem 
ganzen Körper - die Größe der Platten stand für meine 
eigene Körpergröße. Dann beschloß ich, daß sich mein 
Körper als integriertes Element mit der Arbeit verbinden 
sollte - eine weitere Dimension der Konstruktion...(meine 
Hervorhebung).'™ 
Schneemann wollte ihren Körper »einer Reihe physischer 
Transformationen« unterziehen, und zwar in ihren »Kon 
struktionen und ihrem Wand-Environment«, um ihn dadurch 
in ein »visuelles Gebäude« umzuwandeln und »die Bildwerte 
von Fleisch als Material« zu erforschen.”'' Aus dieser 
Umgebung entstand letztendlich Eye Body, eine Werkfolge 
aus mehreren Konstruktionen: Four Für Cutting Boards 
(1962), Ice Box (1962), Window to Brakhage (1962), Für Wheel 
(1962) und Gift Science (1963). 
Als Malerin ging es Schneemann, wenn sie ihren Körper in 
ihrer Arbeit plazierte, um die Bildwerte von Fleisch als 
Material; sie begriff ihren Körper als etwas, das »erotisch, 
sexuell, begehrt, begehrend, aber auch geweiht bleibt«, und 
sah sich selbst als eine »Erweiterung« ihrer »Malerei- 
Konstruktionen und mich selbst - die Künstlerin... als 
ursprüngliche, archaische Kraft, die imstande ist, die Energien 
zu bündeln, welche mein kreativer weiblicher Wille als visuelle 
Information entdeckt hat«. Schneemanns Sprache wurzelt 
seit jeher in den visuellen Problemen - »Bildwerten« - der 
Malerei und dem skulpturalen ■»rhythmischen Verbundensein« 
ihres Körpers mit ihren Assemblage-Konstruktionen. Die 
Quelle für Schneemanns Arbeit ist - damals wie heute - die 
Malerei. Sie selbst hat sich stets als Malerin bezeichnet, und 
sich theoretisch stets an den in Stücke gebrochenen visuel 
len Feldern von Cezanne orientiert, in dessen Werk sie den 
Niedergang der Perspektive in der Malerei sah. Cezannes 
Werke bewirkten darüberhinaus jenen radikalen Wandel in der 
visuellen Beziehung zur Bildfläche, der unter anderem auch 
mit sich brachte, daß der Körper des Künstlers oder der 
Künstlerin in die Arbeit integriert werden kann. 
Eye Body (Ende 1963) und Meat Joy (1964) sind den 
Assemblagen, Environments und Happenings aus den frühen 
Sechzigern zuzurechnen, und nicht der feministischen 
Performance der zweiten Hälfte der siebziger Jahre (als 
Schneemann Interior Scroll aufführte), genauso wenig aber 
den Neunzigern, als »bad girls« wie Annie Sprinkle oder Karen 
Finley auftauchten, deren Arbeit sogar auf Interpretationen 
von Schneemanns Performance basierte. Wenn man sie in 
diesen Zusammenhang stellt, sollte man meinen, Schnee 
manns bahnbrechende Arbeit wäre gebührend gefeiert 
worden, Galeristen hätten sie (wie Wilke und Orlan), unter 
stützt, oder ihr wäre, wie so vielen Künstlerinnen heutzutage, 
irgendeine finanzielle oder persönliche Anerkennung zuteil 
geworden. Das war jedoch nicht der Fall. 
Schneemann erhält noch Immer sehr wenig institutioneile 
Unterstützung in der Kunstwelt, obwohl sie drei Jahrzehnte 
lang Vorbild für die Arbeit zahlreicher Männer und Frauen war. 
Und was noch wichtiger ist: In ihrem Werk ging es nie darum, 
dem Körper Gewalt anzutun, sondern um - wie sie es selbst 
formuliert - »erotische, sexuelle, begehrte, begehrende« 
Körper, um Fleisch als »Freude« - allesamt Eigenschaften, die 
in Eye Body brillant zum Ausdruck kommen, wenn ihr Körper 
die Bild-Oberfläche diagonal schneidet, sich - metaphorisch 
gesprochen - aus dem Raum der Malerei in den Lebens- 
Raum streckt, in dem sie ihre Aktionen durchführte. 
Schneemann schuf Akte primärer Beobachtung. Sie rekon 
struierte die Art und Weise, wie wir die Welt sehen und 
interpretieren. Beobachtung, die Interpretation rekonstruiert, 
ist radikal und ursprünglich. Und eben diese Radikalität ihrer 
Vision, ihre Ursprünglichkeit sind es wert, verteidigt zu wer 
den. Denn Schneemanns Kunst ist voll von der Freude 
weiblicher Körper, die sich in sich selbst und für sich selbst 
feiern. 
170 Carolee Schneemann (wie Anm. 25), S. 52. 
171 Ibid.
	        
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