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~r Milan Knizäk,
® Kleine Environments
, li auf der Straße, 1962-64
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'1| Milan Knfzäk,
i ■ Kleine Objektaktionen
- auf der Straße, 1962-63
Milan Knizäk,
Straßenperformance,
Prag 1964
IX. Ein Balanceakt zwischen Staubloch und Ewigkeit
1958 malte Milan Knizäk Prediger einer Zeit X. Es war ein
gestisches Gemälde voller langgezogener Figuren. Eine Photo
graphie des inzwischen zerstörten Gemäldes zeigt Knizäk, der
mit einer Baskenmütze auf dem Kopf und dem entfremdeten,
mißtrauischen Gesichtsausdruck von James Dean vor seinem
überlebensgroßen Werk steht."^ Auf der Photographie steht
geschrieben: »Meine ersten Träume von einer neuen Gesell
schaft. Ich war achtzehn.« In dieser Zeit wurde Knizäk aus der
Universität und der Kunstakademie »rausgeschmissen«, wo er
»eine wilde 1. Mai-Party« veranstaltet hatte; »die ganze Schule
stand Kopf und sie schmissen mich raus: das war 1959.« Ein
Jahr später wurde der Künstler zum Militär eingezogen, wo er
zwei Jahre und vier Monate fast ununterbrochen wegen
Befehlsverweigerung im Gefängnis saß.
Nach seiner Entlassung aus der Armee malte Knizäk zunächst
in einem rohen Stil, ähnlich den Malern des »Realismus der
Emotionen«, und stellte grobe, rauhe Assemblagen her. In die
ser Zeit begann er auch, Objekte direkt auf die Straße zu
stellen. 1962-63 begann sich in Prag die AKTUAL Gemein
schaft zu bilden. Zu der Künstlergemeinschaft zählten Sonja
Svecovä, Jan Trtilek, die Brüder Jan und Vit Mach und Zdenka
Zizkova. Zwischen 1964 und 1966 schuf Knizäk seine ersten
»Zeremonien« und »Demonstrationen«. Zur selben Zeit trat
Robert Wittmann der Gruppe bei, die er als »eine lebendige
Verkörperung der Probleme der Gesellschaft« in Erinnerung
behielt, »jener Probleme, die bis dahin gewaltsam unter den
Teppich gekehrt worden waren..,«.i” Ein typisches AKTUAL-
Event von Knizäk war Wie macht man Kleidung wirklich (1965):
Ein Ärmel wird vom Mantel abgerissen./ Der Kragen ist mit
einer grellen Farbe angemalt./ Am Mantelende (Saum) ist
eine dreißig Zentimeter lange Fransenborte befestigt. Die
Fransen können geflochten werden./ Der Mantel ist der
Länge nach in zwei Teile geschnitten./ Wir tragen jede der
Hälften einzeln./ Ein zwanzig mal zwanzig Zentimeter
großes Quadrat wird aus dem oberen Teil eines Mantels
geschnitten, die breite Seite liegt parallel zu den Schultern.
Dasselbe in der Jacke, Hemd./ Unterhemd. Oster-Abzieh-
bildchen werden auf die Haut gedruckt./ Kleidung, die
ausgezogen wird, wird in einem Bündel zusammengerollt
und/ wie ein Rucksack auf dem Rücken getragen, etc., etc.
1965 schoß Knizäk auf Bücher, um Getötete Bücher zu schaf
fen, goß Bücher in Zement ein, um Dokumentarische Bücher
tELEFO»
ZU erzeugen, und produzierte Zerstörte Musik, indem er
Platten zerkratzte, verbog, zerbrach und wieder zusammen
setzte. Ferner stand er in ständigem Kontakt mit Fluxus, den
PROVOS, Vostell, DIAS und vielen anderen Künstlern in
Europa und den USA. Mit diesen Künstlern kommunizierte er
hauptsächlich über seine Sam/sdaf-Veröffentlichungen,
handgemachte Bücher mit geschriebenen, getippten, gemal
ten, gezeichneten und mimeographischen Manifesten,
Skizzen, Gedichten und theoretischen Schriften über Kunst,
Mathematik, Zerstörung und vieles mehr. Knizäk bezeichnete
die Events, die er mit der AKTUAL-Gruppe veranstaltete,
ursprünglich als »Zeremonien« und »Demonstrationen«. Ab
Ende 1965 jedoch weigerte er sich, seiner Arbeit überhaupt
einen Namen zu geben, weil es seiner Ansicht nach keinen
Namen gab, der nicht artifiziell war, und er seine Kunst »im
Fluß des täglichen Lebens« auflösen wollte:
Ich schmuggelte Kunst in ihr Leben....lch wollte, daß die
Leute jeden Millimeter ihres täglichen Lebens voll und
172 Milan Knfzäk im Gespräch mit der Autorin, 23.-24. Mai 1995, 173 Robert Wittmann, zitiert in: Milan Knizäk, Actions, Prag, o. S.
Prag. Sofern nicht anders angegeben, stammen sämtliche
Zitate von Knizäk aus diesem Gespräch.