318
Joshua Neustein, Territorial Imperative (Territorialer Imperativ), 1976-78
jedoch begeistert ein, als Neustein ihnen erklärte, das Werk
handle von Wasser, das durch das trockene Tal fließt.
Die Künstler verlegten Stromkabel über den Hang und befe
stigten an verschiedenen Stellen Styroporbecher, die als
Verstärker dienen sollten. Die Kabel verliefen durch die
Talsohle bis zum Kidron-Tal. Das Werk hatte eine Länge von
zwei Kilometern und erstreckte sich so weit, wie die Styropor-
Verstärker den Sound trugen. Nachdem alles fertig installiert
war, gingen Neustein und seine Mitarbeiter nach Hause; sie
hatten vor, am nächsten Tag wieder hinauszufahren und mit
der Übertragung des Stücks zu beginnen. In der Nacht wurde
Neustein jedoch von der israelischen Polizei gewaltsam aus
dem Schlaf gerissen; man hatte sie gerufen, um dem Ur
sprung der Kabel, die sich quer durch das ganze Tal vor
Jerusalem zogen, auf den Grund zu gehen. Knapp drei Jahre
nach dem Sechstagekrieg waren geheimnisvolle Gegen
stände - insbesondere wenn es sich dabei um Stromkabel in
den Hügeln um Jerusalem handelte - eine mutwillige Provo
kation. Die Behörden befanden sich wegen der potentiellen
Bedrohung durch Sprengstoffanschläge in Alarmbereitschaft.
Bei ihrer fieberhaften Suche nach Bomben hatte die Polizei
die Installation zerstört, so daß sie neu aufgebaut werden
mußte. Während das eigentliche Thema von Jerusalem River
Project die Poesie eines Flusses von Geräuschen war, hatte
der Künstler unabsichtlich an politische Spannungen zwi
schen Israel und seinen Nachbarstaaten appelliert, bei denen
es um lebenswichtige Ressourcen ging. Diese Bedeutung
erhielt das Werk erst aus dem lebendigen Kontext der
Installation.
Das Thema Krieg und seine Verbindung zu somatischen
Umständen taucht in vielerlei Gestalt in Neusteins Arbeit auf.
In The Sound of Pine Cones Opening in the Sun (1973)
gedachte Neustein des Jom-Kippur-Kriegs, der am heiligen
Versöhnungstag in Israel ausgebrochen war. Das Stück ent
wickelte sich aus dem, was er unmittelbar vor Antritt seines
Militärdiensts getan und gedacht hatte. In diesen Stunden
sammelte Neustein in seinem Garten Dinge, die er als »falP
bezeichnete - ein Begriff, der gleichzeitig für die Jahreszeit,
den Herbst, und für die im Krieg gefallenen Soldaten steht. Die
gesammelten Materialien - Kiefernnadeln, Zapfen und Zweige
- sollten nach dem Krieg aussortiert und ausgestellt werden.
Der Krieg als Intervention war ausschlaggebend für die
Konzeption und Ausstellung des Werks. Als Neustein im
Dezember 1973 wieder ins Zivilleben zurückkehrte, baute er
die Arbeit auf und untermalte sie mit dem auf Band aufge
nommenen Geräusch von aufplatzenden Kiefernzapfen, aus
denen Samen herausfallen. Dieses poetische, natürliche
Geräusch beschwor - ähnlich wie der Klangteppich des
»Phantasie-Flusses« - das Bild der sich wandelnden Natur,
stand aber auch für den destruktiven Klang von Kultur, ent
ferntem Geschützfeuer und das Fallen von Körpern wegen
Territorien, deren Grenzen von Regierungen auf dem Reißbrett
gezogen worden waren.
Neustein versuchte stets, seine Absichten zu bagatellisieren,
um der Wahrnehmung des Betrachters mehr Gewicht zu ver
leihen; er vermied es konsequent, Parallelen zwischen seinem
Leben und seinem Werk zu herzustellen. Er legte die
Betonung auf Ort, Rezeption und Kontext, ohne dabei zu