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Paul Neagu, Going Tornado (Zum Wirbelsturm werden), Traverse Theatre,
Edinburgh, Februar 1975
Dieser »'formalisierte Bericht« von Neagus Kosmologie ist der
Hyphen. Als Neagu mit seinen Auftritten aufhörte, hatte er
bereits eine Reihe von Performances auf der Grundlage sei
nes metaphysischen Systems durchgeführt, darunter Blind
Bite (mit leichten Änderungen 1971, 1972 und 1975), Hori
zontal Rain (1973), Going Tornado (1975) und Graduatly Going
Tornado (1976). In jeder dieser Aktionen entwarf Neagu eine
totale »Environment-Beziehung« zwischen physischer und
psychischer Existenz.
Hyphen, die physische Metapher für all diese transformativen
Kräfte, trägt das gesamte symbolische Gewicht von Neagus
alternativem epistemologischen, ontologischen, metaphysi
schen und ästhetischen System. Hyphen war aber auch das
Ergebnis eines langen, kreativen Prozesses. Zum ersten Mal
tauchte Hyphen in Form einer Skulptur mit dem Titel The
Subject Generator (1975) auf, einer rechteckigen tischartigen
Fläche (aus 1 cm dickem Glas), die von drei Holzbeinen gehal
ten wurde, zwei kurzen und einem langen, das sich von der
Mitte der Konstruktion in den Raum hinein erstreckte. Die
rechteckige Fläche, das durch die Beine abgesteckte Dreieck
und die Tatsache, daß das lange Element beim Drehen der
Skulptur einen Kreis beschreiben würde, bildeten eine Form, in
der Dreieck, Rechteck und Spirale enthalten waren. Außerdem
legte Neagu auf die gläserne Tischfläche eine Lupe, einen
Spiegel, einen Scheinwerfer, eine Schlange, ein Holzbrett,
ein Stück reliefartig bemalte Leinwand, eine Metalllampe und
einen Transformator. In einer 1974 angefertigten Bleistiftzeich
nung des Objekts mit dem Titel »The Subject« ist deutlich zu
erkennen, daß das Objekt eine anthropomorphe Darstellung
des Künstlers selbst ist, und daß die Objekte auf der Objekt-
Fläche nicht nur die »neuen Subjekte« repräsentieren, sondern
die energetischen Elemente, die das Objekt »erzeugt«.
Diese Zeichnung gewährt Einblick in die Bedeutung von
Neagus Werk. Dadurch, daß er buchstäblich eine Parallele
zwischen sich selbst als Künstler und dem Subjekt, »The
Subject«, zieht, gibt er zu verstehen, daß die Kräfte des Kunst
schaffens auf »The Subject« übertragen werden. So gesehen
bildet die Anhäufung von Materialien, die man gemeinhin zum
Kunstschaffen braucht, auf der Objekt-Fläche gemeinsam mit
den elementaren geometrischen Formen seines Unterhaus
das Material für die Schaffung von Kunst. »The Subject« ist
ein Metakunst-Kunstwerk: ein Werk, das sämtliche Möglich
keiten und Vorbedingungen von Kunst verkörpert.
Paul Neagu, Gradually Going Tornado (Nach und nach zum Wirbelsturm werden),
Arnolfini Gallery, Bristol, März 1976
In Going Tornado wurde der Künstler zu einem wild tanzen
den Derwisch, der sich wie ein Kreisel um sich selbst dreht.
An seinem herumwirbelnden Körper befestigte er kulturelles
Gepäck (seine zusammengerollten Kleider), das als eine Art
»Ballast« diente und ihm ermöglichte, sich noch schneller zu
drehen. Hierzu schrieb er: »Der quasi-ekstatische Charakter
eines »Tornados« als Höhepunkt eines Zyklus ist sein reini
gender und absorbierender Strom, er ist die außerge
wöhnliche und verschwenderische Entwirrung, die alles
transzendiert, was in seinen Strudel gerät.«^’' Der Künstler
sah Gradually Going Tornado als Symbol der »Achtung vor
dem physischen Leben und Geist« und zugleich als
Anerkennung der »»übermenschlichen« Dimensionen... EVO
LUTION als gewaltsames Herausreißen und REVOLUTION
als plötzlicher, heftiger Gefühlsumschwung verschmelzen
miteinander««.^'^
Der Hyphen repräsentiert die Verdichtung und Verlagerung
von Neagus elaboriertem und komplexem System aus
Energie, Bewußtsein und Evolution in die skulpturale Form.
Beginnend bei organischen Lebensformen gelangte es über
das soziale Leben bis zu Quanten-Kräften als Metaphern für
Geschwindigkeiten, die das Bewußtsein in höhere Bereiche
erweitern. Neagus Arbeit ist zutiefst dem Glauben verpflich
tet, daß die menschliche Existenz auf Erden zu einer
beständigen Weiterentwicklung bestimmt ist und daß es seine
Aufgabe als Künstler ist, mit allen Ausdrucksmitteln - von der
Zeichnung bis zur Aktionskunst - Formen zu schaffen, um
»ein geeigneteres Vehikel/einen geeigneteren Körper hervor
zubringen« und dadurch die Gesellschaft zu einem kon
struktiveren und »besseren Verständnis der komplexen
Eigenschaften der Transformation von Energie« durch Kunst
gelangen zu lassen.^'^
211 Paul Neagu in: Gradually Going Tornado! Paul Neagu and his
Generative Art Group, Sunderland 1975, S. 24.
212 Ibid., S. 27.
213 Ibid., S. 24.