51
Jannis Kounellis, Untitied (Da inventare sul posto) (O.T. [Auf der Stelle erfinden]), 1972.
Sammlung Reiner Speck, Köln
59 fing ich an, meine Buchstabenbilder zu malen. Kurz da
nach folgten die Zahlenbilder. Viele von ihnen sollten auch
gesungen werden... Der Vorgang des Malens fand statt,
während ich sang. Ich sang meine Bilder. Dies war, wenn man
so will, mein Beitrag zur Überwindung des Informel, und es
war gleichzeitig meine erste Performance.« Als er noch Stu
dent war, zeigte Kounellis 1960 eine Auswahl dieser Arbeiten
in einer Einzelausstellung unter dem Titel Kounellis’ Alphabet
(L’alfabeto di Kounellis) in der römischen Galleria La Tartaruga.
Um ihre performative Dimension zu betonen, trug er noch im
selben Jahr eines seiner Buchstabenbilder als Kleidungsstück
und ahmte damit das berühmte Kostüm des Dadaisten Hugo
Ball aus dem Cabaret Voltaire in Zürich nach; außerdem führte
er in seinem Studio eine Aktion aus, in der er Teil eines seiner
Bilder wurde. Diese Performance dokumentierte er auch
photographisch.
Nachdem er Mitte der sechziger Jahre internationale Aner
kennung als eines der Gründungsmitglieder der Arte Povera
gefunden hatte, begann Kounellis, seine Arbeit durch die
Einführung performativer Elemente zu beleben. 1969 konzen
trierte er sich auf eine Serie von Bettgestellskulpturen, bei denen
Feuer eine verstörende Rolle spielte.® Das Bettgestell war ein
metaphorisches Objekt, das auf die Geburt und die Schöp
fung neuer Formen verwies. In einer Performance ohne Titel
aus dem Jahre 1970 stellte Kounellis eine Frau auf einen Sockel,
der die Größe eines Bettes oder eines Sarges hatte. Sie war
mit Ausnahme eines vorgestreckten Fusses vollkommen ver-
38 Zur Information über diese und andere Werke siehe Mary Jane
Jacob, Jannis Kounellis, Ausst.-Kat., Museum of Contemporary
Art Chicago, 1986.
hüllt; an diesem Fuß war ein Propangasbrenner mit einer
zischenden Gasflamme befestigt.
1972 vollendete Kounellis drei »Notenbilder« in unterschied
lichen Farben: grün, braun und rosa. Jede Arbeit wurde mit
einer Ballettperformance, die von einem Cello und einem Baß
begleitet wurde, präsentiert. Mit diesen Arbeiten, zu denen auch
die Darstellung eines Fragments aus La Pudnella von Igor Stra-
vinsky auf einer großen rosafarbenen Leinwand gehörte,
kehrte Kounellis kurz zu seinen Tagen als Maler von Musiknoten
zurück. V\/ährend dieser Zeit schuf er viele performanceorien
tierte Bilder und Installationen, darunter auch eine berühmt
berüchtigte Installation, die er als ein Bild beschreibt, bei der
er ein Pferd in den dritten Stock des Gebäudes 420 West
Broadway zerrte, wo sich die Sonnabend Gallery befand. Als
er sich schließlich auf das Pferd setzte, bedeutete dies die Voll
endung des »Gemäldes«.
Ein weiterer Künstler, der mit der Arte Povera in Verbindung
gebracht wird, war Michelangelo Pistoletto. 1966 schuf Pisto-
letto einen großen Globus aus Papiermache. Er fuhr mit dieser
Kugel in einem Kabriolett herum, und sie wurde zum Requi
sit für seine Aktionen. Wie der Film Good Morning Michelan
gelo dokumentiert, benutzte er diesen Globus - die Weltkugel
des Künstlers - bei einer Reihe von Performance-Aktionen,
die auf den Straßen der Stadt oder in ungewöhnlichen Aus
stellungsräumlichkeiten wie Restaurants und Bars stattfanden.
Pistolettos Skulptur, die halb so groß wie ein Mensch war,
erlaubte es dem Künstler, soziale Interaktion umzuleiten.
OSTRR MUFFUM
FANSf '.Vf.t,'., rt KUNST
W I E M