Das österreichische Bauwesen.
Von Bundesminister für Handel und Verkehr D r. Schürf f.
Die schwere Krise, die in der Nachkriegszeit
unser gesamtes Wirtschaftsleben erfaßt hatte, ver
schonte naturgemäß auch nicht unsere Bauindustrie
und unser Baugewerbe. Die beiden Wirtschafts
zweige wurden von ihr in noch heftigerer Weise in
Mitleidenschaft gezogen, als dies von den meisten
übrigen Erwerbszweigen behauptet werden kann.
Während es nämlich den anderen Industrien und
Gewerbebetrieben gelungen ist, in kürzerer oder
längerer Frist ihre Produktionstätigkeit wieder zu
vermehren, die Exportmöglichkeiten für ihre Erzeug
nisse zu erweitern und auch den Warenabsatz im
Inlande zu heben, und so wirtschaftlich wieder zu
erstarken, liegt die Bautätigkeit in Österreich im
allgemeinen bis auf den heutigen Tag darnieder.
Österreich, das auf dem Gebiete der Baukunst seit
Jahrhunderten führend war, dessen Baugeschichte
Namen wie Theophil von Hansen, Fischer von
Erlach, Friedrich von Schmidt, Freiherr von Ferstel,
Van der Nüll, Siccardsburg, Semper, Hasenauer und
viele andere von internationalem Rufe aufzuweisen
hat, vermochte im letzten Jahrzehnt die Mittel für
eine großzügige baukünstlerische Tätigkeit, die die
Geschichte seines Bauwesens in würdiger Weise
fortzusetzen geeignet gewesen wäre, nicht aufzu
bringen. Insbesondere die private Bautätigkeit ist in
den letzten Jahren mehr oder minder auf Klein
bauten beschränkt geblieben. Während in der Infla
tionszeit durch die vorübergehende Bildung neuer
großer Vermögen der Bauindustrie, dem Baukünstler
und dem Baugewerbe immerhin noch einige Gelegen
heiten zur Betätigung geboten wurden, schwanden
mit der Stabilisierung der Währung und dem Ver
siegen der Quellen des neuen Kapitals auch diese
Baumöglichkeiten dahin. So kam die private Bau
tätigkeit insbesondere in ihrer baukünstlerischen
Form in einer Zeit zu fast völligem Stillstände, da
sich auf den anderen Wirtschaftsgebieten bereits
Anzeichen einer Aufwärtsbewegung bemerkbar zu
machen begannen. Durch die Höhe der Löhne und
die verteuerten Baustoffe wurde die private Baulust
fast völlig unterbunden.
Wenn trotz dieser überaus traurigen Lage
unseres Bauwesens in den letzten Jahren in Öster
reich dennoch so manches sehenswerte Bauobjekt
zur Ausführung kam, das sich auch dem in wirt
schaftlich weit besser gestellten Staaten Geschaf
fenem zur Seite zu stellen vermag, so ist dies nur
aus öffentlichen Mitteln möglich geworden. Nahezu
alle bemerkenswerten Bauwerke der letzten Jahre
wurden vom Bunde, den Ländern oder einzelnen
Gemeinden geschaffen. Sie legen Zeugnis dafür ab,
daß die Erfindungsgabe des österreichischen Archi
tekten und Baumeisters nicht versiegt ist, daß der
österreichische Baukünstler und das österreichische
Baugewerbe nach wie vor Leistungen zu vollbringen
vermag, die auch den Beifall und die Bewunderung
des Auslandes finden. Und deshalb begrüße ich die
Herausgabe des Werkes „Das österreichische Bau
wesen“, weil es mir geeignet erscheint, auch weiten
Fach- und Interessentenkreisen des Auslandes Kunde
zu geben von der nie erlahmenden Schaffens- und
Erfindungskraft österreichischer Baukunst, sowohl
der mit der Verfassung und Durchführung der Pläne
betrauten Architekten und Baumeister als auch von
der Leistungsfähigkeit unserer Bauindustrie und
unseres Baugewerbes. Möge es diesem Buche ge
lingen, dem österreichischen Bauwesen zahlreiche
neue Freunde und Förderer im In- und Auslande zu
gewinnen.
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