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Volltext: Das österreichische Bauwesen

Die Baukunst in Österreich. 
Von Hartwig Fischei. 
Die Baukunst ist mehr wie jede andere gestal 
tende Kraft des Menschen enge verknüpft mit den 
Forderungen und Bedürfnissen der Gesellschaft, 
mit denjenigen Faktoren, die am stärksten ihr Raum 
verlangen auszudrücken und durchzusetzen ver 
mögen. Das Ende des neunzehnten Jahrhunderts 
stand auch in Österreich unter dem Zeichen der 
fortschreitenden Industrialisierung, der wachsenden 
Forderungen des Verkehres: Neue Gesichtspunkte 
für den Städtebau, zunehmende Vereinfachung der 
Formgebung, Befreiung von den historischen Fes 
seln. Es ist sicher kein Zufall, daß gerade Wien, 
wo im 19. Jahrhundert die intensivsten und prunk 
vollsten Wiederbelebungsversuche alter feudaler 
und bürgerlicher Kunstleistungen auftraten, zugleich 
mit dem Rückgang dieses Eklektizismus die stärkste 
Betonung einer neuen Zeitkunst, die bewußte Be 
jahung neuer Gegenwartsforderungen und zeit 
gemäßer formaler Ausdrucksmittel eintraten. 
Wien hat in seiner Eigenschaft als geistiger 
Mittelpunkt eines großen und von vielen Nationa 
litäten befruchteten Kulturgebietes seine führende 
Rolle auch in dieser Zeit der Wandlung nicht ver 
loren. Starke Begabungen und willensstarke Prak 
tiker des Bauens haben Weltruf erlangt und den 
Grund gelegt, auf dem auch unsere Zeit zielbcwußt 
und erfolgreich weiterbauen kann. 
Wie einst in den glanzvolleren Zeiten, werden 
auch noch in der beengten Gegenwart österreichi 
sche Baukünstler im Ausland anerkannt, in ihrem 
Wirken beachtet und geschätzt. In manchen Städten 
Nordamerikas, Australiens und Ostasiens, wie in 
den meisten Ländern Europas sind österreichische, 
moderne Architekten gerne gesehen und erst kürz 
lich hat der Bedarf des Türkischen Reiches zu der 
Berufung Wiener Baukünstler geführt. Das mit dem 
Bauwesen so enge verknüpfte Kunsthandwerk und 
das Bauhandwerk haben auf zahlreichen Ausstellun 
gen den österreichischen Leistungen im Auslande 
Freunde und Verehrer geschaffen. Es sind hier über 
die engen Grenzen des Landes Brücken geschlagen, 
die den klein gewordenen Staat vor Isolierung und 
Rückschritt schützen können, wenn sie wirksam 
gepflegt und erhalten werden. Die Kunst lehrte uns 
eine Sprache, die überall verstanden w,urde. Zunächst 
bei den Stammesgenossen im Nachbarreich, das den 
österreichischen Freunden stets Gastfreundschaft in 
reichem Maße gewährte, aber auch dort, wo Öster 
reich noch ein recht mangelhaft erkannter geogra 
phischer Begriff ist, fanden wir Zutritt und Aner 
kennung. 
Eine tatkräftig organisierte Vereinigung der 
Kräfte, belebt von gemeinsamen Interessen, findet 
in der Zentralvereinigung österrei 
chischer Architekten ihren wirkungsvollen 
Ausdruck. Die Pflege des Wettbewerbwesens und 
eine Verbindung mit den verwandten Organisationen 
des Auslandes ermöglicht den Architekten einen 
internationalen Kontakt, der auch durch die Ver 
mittlung einer eigenen Zeitschrift, „Die Bau- und 
Werkkunst“, gefördert wird. Sie hat wohl vor 
wiegend die Verbreitung der im Vaterlande gelei 
steten Arbeit durch gute Lichtbilder zum Ziele, doch 
ist auch die vorurteilslose Kenntnisnahme fremder 
Qualitätsleistung als wirksames Mittel zur An- 
gleichung an die Errungenschaften anderer Völker 
in Übung. 
Für die heimischen Begabungen ist allerdings 
die Zahl der vorhandenen Aufgaben sehr eingeengt 
worden. Neben den durch den Kultus, den Sport, 
die Körperpflege, das Versammlungswesen, den 
Schulbetrieb doch verhältnismäßig seltener ge 
gebenen Baugelegenheiten bildet der städtische 
Wohnhausbau großen Umfanges das wichtigste 
Arbeitsgebiet. In diesem Problem ist eine Reihe 
sozial reformatorisch ungemein wichtiger Teil 
aufgaben zusammengeschlossen, die vielleicht zum 
ersten Male in so großem Umfange die Zusammen 
arbeit einer größeren Schar produktiver Kräfte an 
einer und derselben Problemstellung gezeitigt hat. 
Was hier durch die gemeinsame Arbeit frei schaf 
fender Architekten und den Persönlichkeiten der 
großen Bauämter in Verbindung mit richtung 
gebenden Faktoren der Gemeindeverwaltungen ge 
leistet wurde, ist dazu berufen, einen tiefgehenden 
Einfluß auf die Lebensführung einer großen Bevöl 
kerungsschicht in nächster Zukunft auszuüben. 
Die gleichzeitige und rasche Verbauung umfang 
reicher Grundkomplexe führte zu Verbesserungen 
der Bauvorschriften in Verbindung mit weitgehender 
Berücksichtigung hygienischer Forderungen und 
den notwendigen Rationalisierungen im Betriebe 
kleiner Haushaltungen. Mit der Errichtung zentraler 
Wäschereien und Badeanlagen einerseits und der 
Fürsorge für Erziehung und Kinderpflege anderseits 
ergaben sich neben der lockeren Verbauung 
durch gut besonnte Wohntrakte Neben 
aufgaben wichtiger Art. Ihre bestmögliche Lösung 
wurde oft im Wege freier oder enger Konkurrenz 
erreicht, die sich naturgemäß auch mit städte 
baulichen Lösungen der zur Verbauung gelangenden 
Stadtteile beschäftigen mußten. Daneben ist die Er 
richtung von Siedlungsanlagen im freien Gelände 
nicht vernachlässigt worden.
	        
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