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Volltext: Das österreichische Bauwesen

Diese großzügig eingeleitete Studien- und Auf 
bauarbeit ist naturgemäß auch zu einer formalen 
Schulung erwachsen. Je mächtiger und ausgedehnter 
die aufstrebenden Baumassen wurden, je schärfer 
die notwendige Sparsamkeit jeden ornamentalen 
und dekorativen Luxus zu vermeiden zwang — 
desto stärker wurde die Erkenntnis von der Wich 
tigkeit kubischer Massengliederung. Mit der Zu 
sammenfassung und Keihung vieler kleiner Elemente 
zu starker Gesamtwirkung, mit der Gegenüber 
stellung breit gelagerter Massen von vorwiegend 
horizontaler Gliederung gegen einzelne hochragende 
Unterbrechungen wurde Ruhe und Großformigkeit 
erstrebt. Die Vor- und Rücksprünge im Grundriß 
ergaben die nötigen Licht- und Schattenwirkungen. 
So bilden diese Bauwerke zugleich ein Übungs 
feld für die heranwachsende Generation und ein 
Mittel, auch die Bewältigung jener Aufgaben unserer 
Zeit vorzubereiten, in denen der kollektive Geist des 
Jahrhunderts sich dem individualistischen Streben 
des älteren Bauwesens entgegensetzt. Daß der indi 
viduellen baukünstlerischen Betätigung der Boden 
nicht entzogen wurde, zeigen manche wertvolle 
Arbeiten, die in den beifolgenden Abbildungen 
wiedergegeben sind. 
Der private Wohnhausbau gab zu manchen 
eigenartigen Gestaltungen Anlaß, nachdem der 
innere Ausbau, die Raumgestaltung, so innig mit 
dem Bauproblem verschmolzen wurde, daß die Ein 
richtung mit der äußeren Erscheinung des Wohn 
baues aus einem Geist hervorwächst. Auch die 
Beziehung zur Umgebung des Hauses, zur Natur, die 
gärtnerische Gestaltung wurde als Aufgabe des 
Architekten ernst genommen und so erwuchsen 
dem Baukünstler auch in solchen Fällen wertvolle 
Aufgaben, wo kein Neubau erreichbar war. Diese 
Auswirkungen des baukünstlerischen Gestaltens 
gaben die Möglichkeit, auch auf heimischen und 
internationalen Ausstellungen wirksam zu sein, was 
dem Rufe österreichischer Arbeit als einer eigen 
artigen und besonders qualifizierten förderlich war. 
Das Streben nach künstlerischen Gestaltungs 
möglichkeiten führte naturgemäß auch zum Theater 
und Lichtspiel, wo in der Welt des Scheines ein 
Ausleben der Phantasie wünschenswert ist, wie es 
die Wirklichkeit selten bietet. 
Die selten gewordenen Bauaufträge der Industrie 
haben zuerst den Anstoß zur Selbstbesinnung des 
Architekten, zur strengen Konzentration und Heraus 
hebung konstruktiver Gewissenhaftigkeit und for 
maler Großzügigkeit gegeben. Diese ernste Bau 
gesinnung ist allmählich auf die wichtigsten Betä 
tigungen des Architekten übergegangen, hat seine 
Annäherung an die Arbeiten des Ingenieurs und das 
Zusammenarbeiten mit ihm im Brückenbau, Bahn 
bau, Wasserbau gefördert, so daß die frühere Ent 
fremdung der in Bauwesen wirksamen Kräfte in 
unserer Zeit immer mehr verschwindet und das 
Arbeitsgebiet des schaffenden Architekten immer 
mehr wächst. 
Diese Notwendigkeit erkannt zu haben ist einer 
seits ein Verdienst des Zusammenschlusses der 
großen technischen Vereinigungen, anderseits aber 
auch ein Ausdruck der Zeitgesinnung. 
Die Hauptstadt des Bundesstaates, Wien, hat 
früher stets infolge der Durchbildung seines Schul 
wesens sehr zahlreiche Kräfte bereitgestellt und 
durch die Größe seiner Aufgaben gleichzeitig den 
Zustrom von Kräften aus den Bundesländern geför 
dert. Diese Verhälnisse haben sich insoferne gewan 
delt, als heute der Trieb zur Selbständigkeit und 
zur Pflege lokaler Eigenart und Tradition in den 
Bundesländern gewachsen ist, je mehr auch die 
geographische Lage und damit der Strom des 
Fremdenverkehrs den Hauptorten dieser Länder 
neues Leben zugeführt hat, neue Probleme stellte. 
Eine solche gegenseitige Befruchtung zwischen 
Großstadt und Ländern ist ungemein wertvoll und 
kann in Hinkunft dazu beitragen, daß die Vielseitig 
keit der Leistungen durch die Mannigfaltigkeiten 
nationaler Färbungen reicher und lebendiger wird. 
In Österreich hat es niemals an Begabungen, an 
produktiven Kräften auf dem Gebiete der Baukunst 
gefehlt. Leider sind die Betätigungsmöglichkeiten 
durch das Erlahmen der wirtschaftlichen Impulse, 
also die Nachfrage, den Angeboten an leistungs 
fähigen Kräften nicht angemessen. Hier einen Aus 
gleich zu schaffen und die Abwanderung der Besten 
und Begabtesten aus der enge gewordenen Heimat 
hintanzuhalten, ist eine schwere Sorge der Gegen 
wart. Nur eine Verbesserung der allgemeinen 
Lebensbedingungen kann hier Wandel schaffen. 
Dann wird auch der Baukünstler die ihm gebührende 
wichtige Mission im Ausbau des Staates erfüllen 
können. Wille und Fähigkeiten hiezu sind vorhanden. 
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