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Die großartigste Scenerie aber bietet der Lauf der Erlaf von der Stelle an, wo
links der Ötscherbach, rechts der Triibenbach einfließt, bis zur Thalweitung bei Kienberg,
wo der Fluß, durch die Formation des Uferrandes und den links einmündenden Gaming-
bach gedrängt, seine Richtung ändert. Der erste Theil dieser Strecke liegt zwischen den
schroff abfallenden Hängen des Ötscher (links) und den steil aufragenden Wänden der
Brandmäuer (rechts). Das Thal verengt sich zu einer Schlucht, wo dem Fuße neben dem
wildschäumenden Wasser kein Raum bleibt. Gezimmerte Baumstämme, durch Querhölzer
hoch über der Flut in die Felsen gefügt, bilden streckenweise den Wandersteg. Fast eine
Wegstunde lang sieht man das tosende Wasser tief unten zwischen senkrechten Mauern sich
fortwälzen. Das Volk nennt diese Strecke „Thormäuer". Im weiteren Verlaufe mildert
sich allgemach die wilde Schönheit der Thalschlucht, wechselt der schroffe Fels bald hüben
bald drüben mit dichtem Walde, es werden sonnenhelle, sanfter ansteigende Lehnen sichtbar,
bis endlich da und dort ein bewohntes Gehöft das Ende der Wildniß anzeigt.
Die Flnßränder der Erlaf bei Kienberg und im weiteren Zug ihres Thales zeigen
im landschaftlichen Ausdruck den vollständigen Gegensatz zum vorigen: einen durchwegs
offenen, breiten, durch zahlreiche Wohnstätten, besonders große Metallwerkhäuser belebten
Thalweg und namentlich an der rechtseitigen Thallehne, die weiter znrücktritt und wo Fels
und Wald in buntem Wechsel die malerische Wirkung steigern, zeitweilig einen über
raschenden Einblick in ein kleineres Seitenthal.
Oben bei der Flnßwende bezeichnet der Gamingbach den Ansgang eines reizenden
Engthales, in welchem 1332 Herzog Albrecht ll., der Bruder jenes Friedrich, dem die
Karthause in Mauerbach ihr Dasein verdankt, die zweite Karthanse gründete. Sie theilte
das Schicksal der ersten. Die Klosterkirche mit dem jedes Schmuckes entkleideten inneren
Raume steht noch, das alte Propsteigebände ist zum Theile dem neuen Schlosse eingefügt
und einzelne Zellen der Mönche lassen sich noch aus ihren Resten erkennen. Die sterblichen
Neste des Stifters mit denen seiner Gemalin Elisabeth von Pfirt wurden im Jahre 1797
in die Pfarrkirche des Marktes Gaming übertragen.
Ans dem Erlafthale zweigt eine Straße ab, die iiber Gaming und den Grubberg
nach Lunz, sowie eine andere, die über die Höhe von Brettel (alt: Predil) in das Thal der
kleinen Erlaf nach Gresten führt. Das Erlafthal selbst aber erreicht mit dem durch seine
malerische Lage, seine interessante Kirche (ein Denkmal der Karthäuser-Baukunst), seinem
lebhaften Verkehr und seine schmucken Landhäuser bemerkenswerthen Markte Scheibbs die
Grenze des Voralpenlandes.
Unter den landschaftlichen Besonderheiten im Flußgebiete der Ms nimmt die
Umgebung des alterthümlichen Kirchdorfes Lunz die Aufmerksamkeit zunächst in Anspruch.
Südöstlich vom Orte in einer vom Hochgebirge gesäumten Mulde liegt der größte Bergsee