MAK

Volltext: Orientalisierende Gläser

die wir nie gehabt haben oder die uns im Wandel des Geschmacks und in Zeiten der 
Entartung zum großen Schaden unserer Kunstindustrie verloren gegangen ist. 
Es kann hier nicht des Ortes sein die Prinzipien und die Vorzüge der orientalischen 
Kunstweise ausführlich darzulegen. Die gesammte orientalische Kunst ist im Wesent 
lichen Flächenornamentik. Hierauf beruht die Beschränkung, ihre Einseitigkeit, hierauf 
aber auch ihre Stärke, die vollendete Ausbildung nach der einen Seite hin. Das Element 
der Flächenornamentation ist die Farbe und in der Farbe sind die Orientalen heute die 
unübertroffenen Meister, sei es daß die einseitige Beschränkung auf diese Art der Ver 
zierung die Veranlassung war die Prinzipien farbiger Decoration auf das Schärfste und 
Durchdachteste auszuarbeiten, sei es, daß eine glänzendere Sonne, eine funkelndere 
Macht, die wunderbaren Farbeneffecte einer tropischen Natur ihnen allgemein den 
coloristischen Sinn, der bei uns nur feiner begabten künstlerischen Naturen zu eigen 
ist, erschlossen hat. Aber es sind nicht die Stilgesetze der Farbe allein, welche uns die 
orientalischen Kunstwerke lehren, es sind ebenso auch die Stilgesetze der Zeichnung 
zur Verzierung ebener Flächen, welche wir ihen entnehmen können. Man weiß heute 
theoretisch auch bei uns, wie man sich bei einer Fläche in Bezug auf Richtung und 
Lage, in Bezug auf Gränze und Mitte, in Bezug auf Saum und Bordüre und Ausfüllung 
des Grundes verhalten soll; suchen wir aber nach den praktischen Beispielen, so liefert 
sie uns der Orient; hier finden wir diese Stilgesetze auf das treueste beobachtet. Wir 
sind ferner in den letzten Jahrzehnten in der Kunstindustrie mit Blumen bis zum Erstik- 
ken überschüttet worden und wir haben einen wahrhaften Ekel gefaßt an der ganz 
gemeinen, rohen, unkünstlerischen Art, wie Flora mißbraucht worden ist; sollen wir nun 
wieder mit Lust und Vergnügen zurückkehren zu diesem edlen und ewig unvergäng 
lichen Decorationselemente, so müssen wir es machen wie die Indier und Perser und 
ihre ebenso schöne und maßvolle wie gesetzmäßige Weise nachahmen. 
Das sollen nur ein paar Andeutungen sein, worin die Reize der orientalischen Kunst 
bestehen, worin sie uns Lehre und Vorbild sein kann; wollten wir sie auch nur so andeu 
tungsweise erschöpfen, so müßten wir vor allem ihre reizenden Metallarbeiten 
besprechen, ihre damascirten Gefäße und Waffen, ihre emaillirten Schmuckarbeiten, 
ihre effectvolle Verwendung von Edelsteinen, ferner ihre Porzellane und Fayencen, ihre 
Schnitzereien, u.s.w. 
Es ist aber nicht überall die orientalische Kunst in ihrem Werthe gleich, noch beobach 
tet sie die richtigen Prinzipien überall von Indien bis zum Kaukasus, von China bis nach 
Marokko in gleicherTreueund mit gleicher Reinheit. Man konnte das bei eingehendem 
Studium auf der Pariser Ausstellung deutlich erkennen und man konnte die Kunst der 
einzelnen Länder abschätzen lernen, obwohl die Vollständigkeit und Bedeutung des 
Ausgestellten an manchen Orten vieles zu wünschen übrig ließ. So z. B. war die Abthei 
lung von China und Japan eigentlich nur eine Ausstellung Pariser Antiquare und daher 
von Zufall und Willkür beherrscht, so daß man sich die Gegenstände erst selbst im Kopf 
arrangiren und Altes, Neues und Fremdartiges scheiden mußte, um ein richtiges Bild zu 
gewinnen. 
Da sah man denn bald, daß die japanisch=chinesische Kunst, wenn sie auch gerade 
keinen Gegensatz bildet, doch sich von der übrigen orientalischen Kunst, die sich 
unter muhammedanisch=arabischem Einflüsse gebildet hat, durch ihre Besonder 
heiten als selbständige Gruppe scheidet. Auch die indisch=muhammedanische Kunst 
ist heute vielleicht nicht mehr das, was sie einst war, aber die japanisch=chinesische 
trägt den vollkommenen Zopf, so gut wie ihn die europäische im 18. Jahrhundert zeigte. 
Bizarrerie der Einfälle, Barockheit der Formen und Ornamente, das wird sich jedem 
Betrachtenden zunächst als gemeinsamer Charakterzug aufdrängen, und er wird 
unwillkürlich vom Geschöpf auf den Schöpfer, vom Gefäß auf den Töpfer, der verzopf 
ten, kurznackigen Chinesen mit dem Mongolengesicht zurückdenken. Nichtsdesto- 
352
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.