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Volltext: Orientalisierende Gläser

weniger liegt in den Arbeiten dieser ostasiatischen Kunstindustrie nicht blos eine Lust 
und Freudigkeit des Schaffens, mit der wir von Herzen sympathisiren, nicht bios noch 
immer eine ausgezeichnete Technik, die wir trotz alledem nicht überall zu erreichen 
vermocht haben, sondern auch ein gewisses Etwas, das von künstlerischem Gefühl 
spricht und uns als solches anmuthet. Stellen wir z. B. einen Kasten mit modernem 
europäischen Porzellan und einen solchen mit chinesischem oder japanischem 
zusammen, wie wird uns der erste kalt, hart, unangenehm elegant erscheinen, 
während uns der zweite mit seiner warmen, milden Harmonie unendlich wohlthun wird. 
Bei den Schöpfungen der indischen Kunstindustrie, für welche die englische Regie 
rung eine angemessene Ausstellung besorgt hatte, bedurfte man eines solchen Ver 
gleiches nicht, um das Gute an ihnen herauszufinden; sie sprachen hinlänglich für sich 
selber. Unter ihnen behaupten natürlich die Webereien und Stickereien, als die ächte- 
sten Repräsentanten des orientalischen Kunstprinzips, den ersten Rang. Wir kennen 
davon bei uns aber eigentlich nur die Shawls, welche die Aufgabe, eine Fläche vollstän 
dig mit Ornament zu bedecken und jeglichen Grund in die Verzierung aufgehen zu las 
sen, allerdings in reizender Weise gelöset haben. Aber wir wagen kaum zu sagen, daß 
sie die schönsten Leistungen der indischen Weberei sind; denn fast mehr noch wird 
unser Blick von den Gold- und Silbergeweben gefesselt, in denen vorzüglich durch die 
geschickte Verkeilung und Zeichnung des Musters bei dem ausgezeichneten Mate 
rial die farbige Seide und das Metall zu einem spielenden, schimmernden Lüstre von 
wahrhaft unbeschreiblicher Wirkung Zusammengehen. Wie bäurisch=grob, wie roh 
und gemein erscheinen im Vergleich damit die französischen Goldbrokate! Von der 
Menge der anderen, verschiedenartigen Webereien und Stickereien wollen wir nur die 
Schleier erwähnen. Unsere Damen lieben den Grund ihrer Schleier mit Mouchen be 
deckt und scheinen keine Ahnung davon zu haben, daß jede Mouche im Schleier einen 
Flecken auf dem Gesichte bedeutet; die indischen Damen, wohl wissend, daß der 
Hauptreiz bei dem Schleier die dunklen Augensterne sind, die hindurchleuchten, 
lassen die Fläche durchweg unverziert und sparen die Ornamentation für Saum und 
Bordüre auf - aber welchen Reichthum der Ornamente, welche Schönheit der Zeich 
nung, welche Mannigfaltigkeit der Kunstmittel, welchen erfinderischen Sinn wissen sie 
darzulegen! Nicht zufrieden mit dem Glanz derfarbigen Seide, mit dem Schimmer der 
Gold= und Silberfäden, die sie mit kunstreicher Nadel hineinsticken, berauben sie die 
Käfer ihrer grüngoldigen oder blau=purpurnen Flügeldecken, stellen Blumen und Ster 
ne aus ihnen zusammen und wissen diese reizende Verzierung auf Schleiern und 
Gazekleidern anzubringen. Können wir zweifeln, wenn wir an den indischen Schönen 
einen solchen ornamentalen Sinn entdecken, daß sie ihren Schmuck an edlen Metal 
len und edlen Steinen, an Ohrgehängen, Halsketten, Brustschmuck auf gleicher Höhe 
zu halten wissen 1 ? In der That gehören die wenigen auf der Ausstellung vorhandenen 
indischen Schmucksachen, so schlecht sie auch ausgelegt sind, durch die Zierlichkeit 
der Arbeit, durch die Reize der Wirkung, durch die glückliche Verwendung von Steinen, 
Perlen und Email zu dem Schönsten, was die Weltausstellung in ihrer Art darbietet. 
Ihnen zur Seite treten die mit Gold und Silber tauschirten Metallarbeiten. 
In allem, was Indien in seiner Abtheilung darbietet, ist der Orient treu und ächt geblie 
ben nur einige geschnitzte Möbel, welche in die Hände europäisch civilisirter Tapezie 
rer gefallen sind, bilden mit ihren Polsterungen eine Ausnahme. Dasselbe gilt von 
Persien, ein Land, dessen Industrie vor allem durch seine Teppiche und gestickten 
Decken glänzt. Auch die persische Decorationskunst, vielleicht die Mutter des heuti 
gen orientalischen Stils, ist nicht mehr das, was sie einst war, dennoch hat sie ihre Prin 
zipien, ihre Reize und ihre Anziehungskraft bewahrt. Persien ist das Land der Blumen 
gärten, und die Rosen von Schiras senden uns nicht bloß die Quintessenz ihres Duftes 
im Rosenöl, sie sind auch in die Kunst eingedrungen, sie haben den orientalischen Blu- 
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