klar erkennbar bleibt, während sie doch, wo man auch stehen mag, zu einer allgemei
nen Harmonie zusammen gehen müssen. Diese Aufgabe weiß er auf das vollkommen
ste zu lösen. Treten wir aus einiger Entfernung heran, so zeigt sich zuerst unserem
Blick die Haupteintheilung der Felder, welche durch die geometrischen Bandstreifen
oder auch durch größere, schwungvolle Arabesken hervorgebracht sind. Die schöne
Vertheilung und Gliederung des ganzen Raumes, wie wir ihn aus der Ferne am besten
übersehen können, ist also dasjenige, was sich zuerst dem Blick des Herankommen
den darbietet. Sodann gewahren wir das zweite System der Arabeske in den Zwi
schenfeldern oder unter dem ersten, und stehen wir ganz nahe auf einem Standpunkt,
wo das Auge nur noch einen kleinen Theil der Wand übersehen kann, so entdecken wir
mit neuem Vergnügen das dritte Ornament, welches auf den Flächen des zweiten
selbst, wie klein sie sein mögen, seinen Platz gefunden hat. Jeder Standpunkt also ent
hüllt dem Kommenden neue Reize, und tritt er zurück, so verwirrt sich ihm nicht das
Detail, sondern das Auge vermag immer wieder auf klaren und schönen Linien, Verhält
nissen und Gliedern mit Wohlgefallen zu ruhen.
Betrachten wir uns die Arabeske im Einzelnen, wie sie sich über das Feld hin ausbreitet,
so finden wir, daß auch hier die Kunst mit derselben einsichtsvollen Bedachtsamkeit
gewaltet hat. Der arabisch=maurische Künstler hat immer gewußt, was er wollte,
welches sein künstlerisches Ziel war, welches die Wirkung sein sollte und wie sie zu
erreichen war. Zum Beweise dessen dient eine Inschrift der Alhambra, eine aus der
Zahl jener, die von der Schönheit dieses Wunderbaus handeln: „Betrachte mit Auf
merksamkeit meine Schönheit,“ so spricht das Werk zum Beschauer, „und du wirst
darin einen Commentar der Decoration finden.“
Auch in der Composition des einzelnen Ornaments befolgt der Künstler bestimmte all
gemeine Gesetze, die für alle und jede Flächendecoration mustergültig sind. Zunächst
weiß er, daß er zu decoriren, nicht zu construiren hat, und daher schließt sich sein
Ornament an die architektonisch gegebenen Glieder und Felder an; ja, anstatt sich an
ihre Stelle zu setzen, wie es wohl häufig in der Architektur und ebenso auch in der
Kleinkunst geschieht, hebt es ihre Gestaltung, ihren Ausdruck nur noch mehr hervor.
Indem sich das Ornament an die durch die Architektur oder die geometrische Einthei-
lung gegebenen Flächen anschließt, ist es die Aufgabe des Künstlers dasselbe so
weise zu vertheilen, daß Grundfläche und Ornament im rechten Raumverhältniß zu
einander stehen, und daß sich auf der Grundfläche selbst nicht ein Loch bildet, ein zu
großer leerer Raum, auf welchem wir Ornament vermissen. Auch darin bewährt sich die
Weisheit des arabischen Künstlers.
Aber es ist dies nicht der einzige Punkt, den er zu bedenken hat und den er bedenkt.
Wie in der Natur bei jeder Pflanze alle Theile sich auf den gemeinsamen Stamm zurück
führen lassen, wie vom Stamm die Aeste, sodann von diesen die kleineren Zweige, und
weiter die Stengel, die Blätter auslaufen und zwar radienförmig in sanften Ansätzen, die
sich der Tangente nähern, wie dieses Gesetz in dem Geäder des einzelnen Blattes
waltet, so befolgt es auch der maurische Künstler in seiner Ornamentation. Wie auch
die Fläche, die erzu verzieren hat, durch ihre Begrenzung gestaltet sein mag, stets weiß
er sie so zu theilen, daß er eine Mitte, einen gemeinsamen Mutterstamm gewinnt, von
welchem das Laub oder die Ranken und Blätter der Arabeske in sanften, anmuthigen
Curven und in ununterbrochenem Zusammenhänge auslaufen.
Den allgemeinen Gesetzen in der Natur folgt der maurische Künstler auch in der Farbe.
Wir finden überall in der organischen Welt, daß jede andersartige Gestaltung auch mit
neuer Farbe anhebt, daß die Farbe dazu da ist, die verschiedenartigen Theile eines und
desselben Gegenstandes vom Grunde herauszuheben und von andern Theilen zu
unterscheiden. Die Pflanze, der Baum lösen sich so vom Erdreich, die Blätter vom
Stamm und Geäste, aus dem Kranz der Blätterdie Blume, und in dieser wieder sind ver-
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