Die „Neue Freie Presse“ brachte am 11.10.1906 eine kurze Meldung:
„Ausstellung der Wiener Werkstätte. Die Wiener Werkstätte veranstaltet in ihren neuen
Räumen eine Reihe von Ausstellungen und Vorträgen. Die erste Ausstellung: ,Der ge
deckte Tisch', wird heute Donnerstag eröffnet und zeigt in einer Anzahl von Beispielen
(der Frühstückstisch, der Dinertisch, der Hochzeitstisch, der Geburtstagstisch, die
Jubiläumstafel, der Künstlertisch etc. etc.) die Verwendung modernen Tafelgerätes und
künstlerischen Blumenschmuckes. Die Ausstellung, VII., Neustiftgasse Nr. 32, ist an
Wochentagen von 9 Uhr früh bis 7 Uhr abends, an Sonntagen von 9 Uhr früh bis 12 Uhr
mittags geöffnet.“
Wenig später, am 23.12.1906, notierte die „Neue Freie Presse“:
„Erzherzog Rainer hat heute die Ausstellung der Wiener Werkstätte in dem neu eröffneten
Lokal der Galerie Miethke besucht.“
Knapp und boshaft ist ein Kommentar „Der moderne Tisch“ in „Kikeriki“ (25.10.1906), der
sich aber auf die Ausstellung „Der gedeckte Tisch“ kaum bezogen haben kann:
„Die Sezession isten Josef Hoff mann und Kolo Moser haben soeben den .modernen Tisch
des kleinen Mannes vollendet. Er ist aus schwerem Eichenholz höchst massiv ver
fertigt, so daß er sich unter der Last dessen, was nicht darauf ist, sicher nicht biegen wird.
Die Form der Tafel ist die eines Hufeisens. Das Hufeisenornament kehrt sinnigerweise
auch auf den Schüsseln, Tellern und Servietten wieder. Als Tafelaufsatz dient statt einer
Blumenvase eine Glasglocke, die aber nach Art einer Schwabenfalle durchlöchert ist, so
daß allerliebste kleine Käschen hervorduften. Überhaupt ist das ganze Arrangement so
berechnet, daß ein etwaiges Übermaß von Appetit auf das Minimalste reduziert wird, was
ja bei den heutigen Preisverhältnissen der Lebensmittel nur wünschenswert ist.“
Unter dem Titel „Sezessionistische Tafelfreuden. Das Tischleindeckdich der ,W. W.“‘
ergeht sich A. F. im „Neuen Wiener Tagblatt“ (16.10.1906) in wohl originell sein sollenden
Bosheiten, die aber nur Verständnislosigkeit verraten:
„Sogar ich bin diesmal entzückt. Für eine vergnügte Stunde soll man immer dankbar sein.
Ich ziehe hiermit feierlich alle Lieblosigkeiten zurück, die ich jemals gegen die .neue Rich
tung' in unserem Kunstgewerbe gedacht, ausgesprochen und niedergeschrieben habe.
Ich habe den .gedeckten Tisch' gesehen, den von Kolo Moser und Josef Hoffmann ge
deckten in den Wiener Werkstätten, Neustiftgasse. Lionardo hat einmal einen Tisch ge
deckt im Refektorium von Santa Maria delle Grazie. Auch Tintoretto und Tiepolo. Cagliari
deckte die Festtafel für die Hochzeit zu Cana; Rembrandt rüstete dem starken Simson
das Bankett, als er die Dalila heiratete, und Rubens und Jordaens richteten den ländlichen
Tisch für Jupiter, wenn er bei Philemon und Baucis incognito soupierte. Pepi Danhauser
ließ seinen Prasser an einer mit reichem Altwiener Geschmack gezierten Tafel Platz neh
men. Jetzt handelt es sich aber dem Künstler nicht mehr um die Darstellung, sondern um
die Sache selbst. Nicht Christus, Simson und Jupiter, nicht die Apostel und die Philister
sind das Wesentliche mehr - oder doch: die Philister in ihrer jüngsten Spielart, die snobi
stischen Philister. Jetzt muß ihnen ein Maler und ein Architekt die Tafel decken. Sonst
heißt es nichts. Hier liegt die würdigste Aufgabe unserer extremmodernen exklusiven
Höhenkunst vor. Der Architekt als Serviettenfalter und der Innenraumausschmücker als
Anordner von Tafelaufsätzen. Es denke nur ja niemand, daß ich der Mensch bin den Wert
ungemalter Leinwand zu unterschätzen... Was sonst der empfindungsleeren, geschäfts
mäßigen Routine eines schlichten .Ober' anvertraut blieb oder am Ende gar dem zweifel
haften Geschmacke eines besseren Aushilfskellners, das wird jetzt in edle Künstlerhand
gelegt. Sind unsere braven Gastgewerbegehilfen geprüfte Mystiker, geeichte Symboli
sten, ist ihr Liniengefühl, ihre Raumempfindung bis zur letzten Entwicklungsmöglichkeit
hinaufgefuhrt? Ahnen sie auch nur die Wichtigkeit und die Bedeutung ihrer erhabenen
Kulturmission? Und bitte sehr, wie steht es denn mit ihren heimlichen Nerven"? -
O, schlecht, schlecht, leider.
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