VORWORT
„Frohgemuth, das leichte Ranze!, in welchem sich auch etliche Gul
den mühsam ersparten Gesellenlohnes befanden, auf dem Rücken,
wanderte ein junger Bursche um 1818 nach Wien herein mit der Ab
sicht und mit der Ueberzeugung, hier „sein Glück“ gründen zu kön
nen“, so beginnt Ludwig Lobmeyr (1829 - 1917) seine Autobiogra
phie, die sich als Manuskript in Firmenbesitz erhalten hat. Der Wiener
Glasindustrielle, für den Glas „schöner als Bergkristall“ war, wurde
gegen Ende des 19. Jahrhunderts von seinem Freund Friedrich
Pecht zu diesen Aufzeichnungen ermuntert. Er berichtet darin vom
Lebensweg seines Vaters Josef Lobmeyr, der Eröffnung einer Glas
handlung, seiner eigenen Kindheit und Jugend und vor allem vom
Geschick des weltberühmt gewordenen Unternehmens J. & L. Lob
meyr in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Die Schwierigkeiten mit den slavonischen Glashütten werden
ebenso einbezogen wie der daraus entstandene langwierige Prozeß
gegen seinen ungarischen Partner Hondl. Reisen nehmen einen
breiten Raum ein, oft mit Aussteliungsbesuchen und -beteiligungen
verbunden. Ausführlich schildert Lobmeyr den engen Kontakt zu dem
1864 gegründeten Österreichischen Museum für Kunst und Industrie
und seinem Direktor, Rudolf von Eitelberger, sowie zu den wichtig
sten Wiener Künstlern. Bei den „Gesellschaftsabenden“ im Hause
Lobmeyr versammelten sich bedeutende Persönlichkeiten des Wie
ner Kulturlebens. Und auch auf private Umstände geht Lobmeyr ein:
auf seine Beziehungen zu Frauen und Freunden sowie auf seine
zahlreichen Kuraufenthalte. Ebenso erwähnt er seine Bildersamm
lung und die Bekanntschaft mit berühmten Malern jener Zeit, zu de
nen Alt und Pettenkofen, Spitzweg und Munkäczy zählten.
Die vorliegende Publikation enthält die Transkription dieser von frem
der Hand erfolgten Niederschrift in ungekürzter Form, wiewohl der
Leser manche Passagen als Längen und deren Wiedergabe daher
als entbehrlich empfinden mag. Mir schien es dennoch nicht ratsam,
diese von Ludwig Lobmeyr dargestellte Gesamtschau seines Lebens
und Wirkens durch willkürliche Eingriffe zu verändern.
Wie von selbst ergab sich für mich die schöne Aufgabe, diese Reise
durch mehr als ein halbes Jahrhundert mit Bildern zu begleiten, die
den reichen Schätzen aus dem Firmenmuseum und dem Archiv von
J. & L. Lobmeyr in Wien entstammen. Neben Glasobjekten und
Werkzeichnungen sowie Papierschnitten sind auch zeitgenössische
Photographien wiedergegeben, durch die wir die einmalige Möglich
keit haben, ganze Trink- und Dessertservice sowie Glas-Serien be
trachten zu können.
Als einen frühen Schwerpunkt sehe ich die Zeit an, in der Josef Lob
meyr das Unternehmen führte (von 1823 bis zu seinem Tode im
Jahre 1855). Ludwig Lobmeyr beschreibt diese Periode, die er aus
Erzählungen und aus eigenem Erleben kannte, und die mir auch des
halb so wesentlich erscheint, weil sie - in den Zeichnungen des Fir
menarchivs - ein bisher nie geschautes Panorama des Biedermeier
glases vor uns ausbreitet.
Weitgereist und geschäftstüchtig, war schon Josef Lobmeyr fraglos
einer der besten Kenner der zeitgenössischen Glasindustrie und
konnte seinem Publikum bald ein umfassendes Angebot an Gläsern
vorlegen, wie die beiden erhaltenen Geschäftskarten der Frühzeit be
weisen.
Bestellungen, die sich auf Muster in Form von Gläsern oder Papier
schnitten stützten, gingen vorwiegend in die Zentren der böhmischen
Glasindustrie. Anfangs von deren Produktionspalette abhängig, ent
wickelte er wohl schon früh seine eigenen Vorstellungen, die zu
einem beachtlichen Programm führten, in das die erfolgreichen Glas
formen jedweder Herkunft unbekümmert eingebunden wurden. Die
Fülle dieses Angebotes erforderte eine wohldurchdachte Systematik
in der Bezeichnung der jeweiligen Form- und Servicetypen. Ange
sichts der länglichen Mappen mit Zeichnungen und Schnitten von
Trink- und Dessertservicen und den Formtypen verschiedener Glä
ser erkennen wir eine bislang ungeahnte Vielfalt, die in mehrfacher
Sicht neue Einblicke in die Welt des Biedermeierglases ermöglichen.
Dazu zählen die Werkzeichnungen von bisher unbekannten Dessert
servicen, die ins Jahr 1835 datiert und von Josef Lobmeyr signiert
wurden. Einen weiteren bedeutenden Fund stellen die Werkzeich
nungen von J. C. Bauer dar, die sich teilweise als Papierschnitte, teil
weise als fragmentierte Zeichnungen auf den Rückseiten wiederver
wendeter, beschnittener Papierbögen erhalten haben.
Vor allem die aus der Zeit Josef Lobmeyrs stammenden Trink- und
Dessertservice sind für die Forschung außerordentlich wertvoll.
Buchstaben- und Nummernfolgen dienten als Bezeichnungen sol
cher Service, deren gängigste Formen nach seinem Tode in eine
neue Numerierung einbezogen wurden, wodurch naturgemäß viele
der älteren Service unberücksichtigt blieben und die irrige Meinung
entstand, die (neuere) Numerierung sei vollständig und umfasse alle
Service der Firma Lobmeyr. Die Autobiographie selbst wird einbeglei
tet von einem Kommentar Friedrich Pechts, der Wesentliches zur
Charakterisierung der Persönlichkeit Ludwig Lobmeyrs beiträgt.
Wenn auch die Fülle der Bilder, die den zeitgenössischen Lobmeyr-
^ext illustrieren, sehr reichhaltig erscheint, muß man doch im Auge
behalten, daß es sich dabei nur um einen schmalen Bereich aus dem
Gesamtprogramm des „Lobmeyr-Glases“ handelt.
Das 175jährige Firmenjubiläum wurde im Jahre 1998 in Wien als
„Lobmeyr-Jahr“ mit zahlreichen Aktivitäten gefeiert; Wechselausstel
lungen im firmeneigenen Museum waren bestimmten Schwerpunk
ten (Kunden der Firma Lobmeyr, Weinglas, Spiegel Entwurf und Pro
duktion) gewidmet. In einer eigenen Jubiläumspublikation („Lobmeyr
1823 - Helles Glas und klares Licht“) haben Mitglieder der Familie
Rath 1998 die Firmengeschichte des Hauses Lobmeyr dargestellt,
die 1925 erschienene Lobmeyr-Monographie von Robert Schmidt bis
in die Gegenwart ergänzend und auch die Lusterproduktion einbezie
hend. Die Österreichische Postsparkasse widmete ihre Sommeraus
stellung 1998, deren wissenschaftliche Leitung mir oblag, dem Lob-
meyr-Thema „Schöner als Bergkristall“. In Zusammenhang mit die
ser Ausstellung ist auch die vorliegende Publikation zu sehen. Der
zeit wird das Projekt „J. & L. Lobmeyr, Gläser und Werkzeichnungen“
mit Unterstützung des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen
Forschung, Wien, durchgeführt (Projektleitung: Dr. Waltraud Neu-
wirth, wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. Ulrike Scholda). Dadurch kön
nen die Bestände des Österreichischen Museums für angewandte
Kunst wissenschaftlich erarbeitet und eine umfassende Lobmeyr-Bi-
bliographie erstellt werden, die im vorliegenden Buch ausgespart
wird.
Wie bei jedem meiner Projekte darf ich auch diesmal wieder zahlrei
chen Personen und Institutionen für ihre Hilfe und Unterstützung sehr
herzlich danken:
- Harald, Peter und Stefan Rath sowie allen anderen Mitgliedern der Familie
Rath und allen beteiligten Mitarbeitern der Firma J. & L. Lobmeyr
- Monika Wenzi-Bachmayer (Österreichische Postsparkasse) und ihren Mitar
beitern
- Mag. Olga Kronsteiner für ihre akribische Arbeit bei der Index-Erstellung
- Fritz Kaltenbrunner für seine schon oft bewährte und auch diesmal wieder
bewiesene Genauigkeit des Korrekturlesens
-Mag. Bernhard A. Böhler für seine hervorragende Mitarbeit
- Joschko A. Buxbaum und Ing. Alfons Pessl für ihren großen Einsatz
-Ann Dubsky, deren langjährige Befassung mit dem Thema Glas eine hervor
ragende Qualität der Übersetzung ins Englische gewährleistete
- Dr. Ulrike Scholda für zahlreiche wertvolle Hinweise
- Dr. Vera Varga (Kunstgewerbemuseum Budapest)
- Walter Haschke (Technisches Museum Wien)
-der Bibliothek der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, Wien, und ihren Mit
arbeitern
- dem Wiener Stadt- und Landesarchiv und allen Mitarbeitern
sowie all jenen, die mir durch Rat und Tat seit Jahrzehnten hilfreich zur Seite
stehen.
Wien, im Jänner 1999 Dr. Waltraud Neuwirth
7