als wolle das Wetter nicht beständig bleiben, eilte ich fort, kam
über Daufeld und Mittersill nach Krimi und stieg die Gerios
hinan, um hinüber in’s Zillerthai zu gelangen. Mein noch jun
ger Träger mußte oft ausruhen, er war offenbar besorglich
brustschwach; wie froh war ich darum, als wir auf der Höhe ei
nigen Sachsen begegneten, die nach Krimi wanderten und
einverstanden waren, daß unsere Träger wechselten. Nun
hatte ich einen strammen Tirolerburschen, der mit einem [al
lerdings] §ap nicht schweren Gepäck vor mir hertänzelte und
jauchzte, daß ich meine Freude daran hatte. Abend kamen wir
nach Zell an der Ziller, es gab Gesang und Zitherspiel und ging
so lustig zu, daß ich erst gegen Mitternacht zur Ruhe kam.
Weiter trieb es mich nach Innsbruck, dessen Sehenswürdig
keiten alle ich ernstlich vornahm, einschließlich des sagenum
wobenen Loches in der Martinswand - dann fort nach Bre
genz. Wir kamen da im Pitzthal an der Stelle vorbei, wo einige
Jahre vorher der König von Sachsen in merkwürdiger Weise
verunglückte. Er fuhr, wie man mir erzählte, mit seinem Adju
tanten im leichten Gefährte, stand auf, um Alles besser zu se
hen und stützte sich auf den Postillonsbock. Bergab ging’s
plötzlich gar zu schnell, der König befahl, anzuhalten und das
wurde so rasch ausgeführt, daß durch den Ruck der König
über den Bock weg zwischen die Pferde stürzte, von denen ei
nes ihn so verwundete, daß er bald darauf starb. Das Unglück
geschah nur, weil „der König hat’s gesagt.“ Was Alles [ich
zunächst] noch durchfahren wurde-r übergehe ich. Ich fuhr-mtt
dom Dampfer [kam] nach Rohrschach und mit [einem] so
großartigen Eilwagen, wie ich solchen noch nicht gesehen
hatte, nach St. Gallen, wo ich mir ailsogleich einen Coupeesitz
für die nächsttägige Eilwagenfahrt nach Zürich nahm. Ich
stand noch im Bureau, als ein weißhaariger Herr eintrat und
die drei Coupeesitze verlangte. Bedaure, antwortete der Be
amte, es sind nur mehr zwei zu naben. - Wer hat den dritten
Sitz? - Ein Herr. - Aber ich reise mit Frau und Tochter, ich kann
diese doch nicht mit einem fremden Herrn fahren lassen, kann
auch nicht meine Frau allein in das Wageninnere setzen u. s.
w. - Ueberzeugt war ich gar nicht, daß das Eine oder Andere
nicht angehe, ich hörte aber, wie nahezu unglücklich sich der
alte Herr fühlte, trat vor, überließ ihm meine Karte und nahm
eine für den Imperial, ein zweisitziges Coupee rückwärts
oben. Da es andern Tags nahezu während der ganzen Fahrt
regnete, so daß der Franzose und ich, die wir da oben zusam
mengepfercht waren, das Regenleder vorgezogen halten
mußten, nur durch je ein Guckloch hinaussehen konnten,
wurde mein gestriger Verzicht thatsächlich zu einem Opfer. In
Zürich stieg ich in der goldenen Krone, einem Gasthof dritten
Ranges ab. Das Wetter war viel besser geworden, ich zögerte
nicht, die Stadt, die hohe Promenade und was sonst Bädecker
zunächst empfahl, zu schauen.
Am nächsten [andern] Frühmorgen ging es mit dem Dampf
schiffe nach Borgen, [von dort] mit dem Omnibus nach Zug,
wieder mit einem kleinen Dampfer nach Arth, von da mit mei
nem Ränzel - den Koffer hatte ich weiter vorausgesendet -
nach Goldau, über das Dächli und Klösterli nach Rigistaffel,
wo ich ein Zimmer bestellte, da man mir sagte, es sei auf dem
Kulm kein Bett mehr zu haben. Mein Ränzel zurücklassend
stieg ich rüstig hinauf. 4a [Oben] trat mir der alte Herr von vor
gestern Abend, ein sächsischer Major von Connewitz od. so
ähnlich, entgegen und sagte, er habe mich gestern in allen Ho
tels Zürich’s wie eine Stecknadel suchen lassen - nun, er
wußte nicht einmal meinen Namen - habe hier in seinem Zim
mer das zweite Bett, das er übrigens sonst einem Anderen
hätte einräumen müssen, mir Vorbehalten. Besser so! dachte
ich, dankte recht sehr, eilte die 3/ 4 Stunden hinunter, nahm
zum Verdruß des Wirthes meine Sachen und rannte wieder
bergan, kam aber [doch erst] auf die Plattform efeea, als der
letzte Sonnenrand hinabsank. Kein Faden war mehr trocken
an mir, ich wickelte mich fest in meinen Mantel, stand allein im
Zwielicht, denn Alles war längst weggeeilt md [um] zu Tisch
gegangen [zu kommen]. Die majestätische Ruhe, das Weihe
volle des so großartigen Naturbildes, wie ich noch keines ge
sehen hatte, ergriffen mich in mächtigster Weise, ich fühlte so
recht, wie nicht nur der Einzelne nichts, so gar nichts ist ge
genüber dem All; es kamen gar ernste Gedanken über mich,
ich wartete, bis es noch mehr Nacht wurde, was da oben ra
scher geht als unten im Thale, dann ging ich auf mein Zimmer,
kleidete mich völlig um und trat in den Speisesaal, in dem bei
hundert Personen in fröhlichem Geschwätze ein für meine da
maligen Begriffe sehr üppiges Mahl einnahmen. Elegante Toi
letten, die verschiedenen Sprachen, weiche da durcheinander
surrten, alles Gesellschaftliche hochentwickelt, bei den Mei
sten wohl auch ein übergroßes Bewußtsein ihrer Bedeutung -
es war ein so arger Gegensatz [zur zweifellosen Größe draus-
sen,] daß er mir für immer in lebhafter Erinnerung geblieben
ist.
Der starke Marsch hatte mir gut bekommen, kaum horte ich
[ertönte] der Kuhreigen, als ich munter aus dem Bette sprang
und einer der Ersten draußen war. Rein war der nahezu noch
nächtliche Himmel, Nebel lag im Thale, [wieder] feierlich ernst
war der Anblick, der sich darbot und wenn auch die allmälig
zunehmende Helle [bald] mildernd wirkte, so war’s doch erst
als der Sonnenrand sichtbar wurde, daß Alles wie mit einem
Male zu Freude sich änderte. Bald schwanden die Nebel im
Thal, die Seen funkelten, es kam wohlige Wärme, die ganze
Natur lachte freudig [fröhlich] auf ob des herrlichen Tages, der
angebrochen war, und Heil mir! ich konnte es bereits voll mit
genießen! Ich stieg nach Weggis ab, fuhr nach Fluelen und
Amsteg, fand mich auf dem Dampfschiffe mit einem nur we
nige Jahre älteren Wiener Namens Borckenstein, dem Chef
eines angesehenen Fabrikhauses und einem nicht älteren
Münchener, Kohn, zusamen, welche auch das Berner Ober
land zu durchwandern vorhatten. Ich sagte, ich könne mich lei
der ihnen nicht anschließen, ich müsse erst nach Luzern, um
auf meinen Kreditbrief Geld zu beheben. Borckenstein besah
ihn, er war auf einen reichlichen Betrag lautend, denn ich
wollte zur Ausstellung nach München, fand vielleicht dort auch
etwas zu kaufen. Der ist ja, sagte er, von Stametz-Mayer ei
genhändig geschrieben; hat Ihr Vater das Geld dafür erlegen
müssen? - Nein, was ich brauchen werde, wird nachher
[zurückge]dddezah\\. - Nun, ich trage mehr Geld bei mir, als
ich, als wir vielleicht Beide brauchen werden, ich gebe Ihnen
nur ein Theil; brauchen wir doch noch, können wir Ihren Kredit
brief benützen, sonst rechnen wir daheim ab. - Ich ging also
mit Beiden durch’s Berner Oberland, der reiseerfahrene
Borckenstein war mir ein lieber Maostro [Mentor], dem ich
mich gerne unterordnete. Wir kamen nach Grindlwald, von wo
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