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Volltext: Ludwig Lobmeyr - schöner als Bergkristall

als wolle das Wetter nicht beständig bleiben, eilte ich fort, kam 
über Daufeld und Mittersill nach Krimi und stieg die Gerios 
hinan, um hinüber in’s Zillerthai zu gelangen. Mein noch jun 
ger Träger mußte oft ausruhen, er war offenbar besorglich 
brustschwach; wie froh war ich darum, als wir auf der Höhe ei 
nigen Sachsen begegneten, die nach Krimi wanderten und 
einverstanden waren, daß unsere Träger wechselten. Nun 
hatte ich einen strammen Tirolerburschen, der mit einem [al 
lerdings] §ap nicht schweren Gepäck vor mir hertänzelte und 
jauchzte, daß ich meine Freude daran hatte. Abend kamen wir 
nach Zell an der Ziller, es gab Gesang und Zitherspiel und ging 
so lustig zu, daß ich erst gegen Mitternacht zur Ruhe kam. 
Weiter trieb es mich nach Innsbruck, dessen Sehenswürdig 
keiten alle ich ernstlich vornahm, einschließlich des sagenum 
wobenen Loches in der Martinswand - dann fort nach Bre 
genz. Wir kamen da im Pitzthal an der Stelle vorbei, wo einige 
Jahre vorher der König von Sachsen in merkwürdiger Weise 
verunglückte. Er fuhr, wie man mir erzählte, mit seinem Adju 
tanten im leichten Gefährte, stand auf, um Alles besser zu se 
hen und stützte sich auf den Postillonsbock. Bergab ging’s 
plötzlich gar zu schnell, der König befahl, anzuhalten und das 
wurde so rasch ausgeführt, daß durch den Ruck der König 
über den Bock weg zwischen die Pferde stürzte, von denen ei 
nes ihn so verwundete, daß er bald darauf starb. Das Unglück 
geschah nur, weil „der König hat’s gesagt.“ Was Alles [ich 
zunächst] noch durchfahren wurde-r übergehe ich. Ich fuhr-mtt 
dom Dampfer [kam] nach Rohrschach und mit [einem] so 
großartigen Eilwagen, wie ich solchen noch nicht gesehen 
hatte, nach St. Gallen, wo ich mir ailsogleich einen Coupeesitz 
für die nächsttägige Eilwagenfahrt nach Zürich nahm. Ich 
stand noch im Bureau, als ein weißhaariger Herr eintrat und 
die drei Coupeesitze verlangte. Bedaure, antwortete der Be 
amte, es sind nur mehr zwei zu naben. - Wer hat den dritten 
Sitz? - Ein Herr. - Aber ich reise mit Frau und Tochter, ich kann 
diese doch nicht mit einem fremden Herrn fahren lassen, kann 
auch nicht meine Frau allein in das Wageninnere setzen u. s. 
w. - Ueberzeugt war ich gar nicht, daß das Eine oder Andere 
nicht angehe, ich hörte aber, wie nahezu unglücklich sich der 
alte Herr fühlte, trat vor, überließ ihm meine Karte und nahm 
eine für den Imperial, ein zweisitziges Coupee rückwärts 
oben. Da es andern Tags nahezu während der ganzen Fahrt 
regnete, so daß der Franzose und ich, die wir da oben zusam 
mengepfercht waren, das Regenleder vorgezogen halten 
mußten, nur durch je ein Guckloch hinaussehen konnten, 
wurde mein gestriger Verzicht thatsächlich zu einem Opfer. In 
Zürich stieg ich in der goldenen Krone, einem Gasthof dritten 
Ranges ab. Das Wetter war viel besser geworden, ich zögerte 
nicht, die Stadt, die hohe Promenade und was sonst Bädecker 
zunächst empfahl, zu schauen. 
Am nächsten [andern] Frühmorgen ging es mit dem Dampf 
schiffe nach Borgen, [von dort] mit dem Omnibus nach Zug, 
wieder mit einem kleinen Dampfer nach Arth, von da mit mei 
nem Ränzel - den Koffer hatte ich weiter vorausgesendet - 
nach Goldau, über das Dächli und Klösterli nach Rigistaffel, 
wo ich ein Zimmer bestellte, da man mir sagte, es sei auf dem 
Kulm kein Bett mehr zu haben. Mein Ränzel zurücklassend 
stieg ich rüstig hinauf. 4a [Oben] trat mir der alte Herr von vor 
gestern Abend, ein sächsischer Major von Connewitz od. so 
ähnlich, entgegen und sagte, er habe mich gestern in allen Ho 
tels Zürich’s wie eine Stecknadel suchen lassen - nun, er 
wußte nicht einmal meinen Namen - habe hier in seinem Zim 
mer das zweite Bett, das er übrigens sonst einem Anderen 
hätte einräumen müssen, mir Vorbehalten. Besser so! dachte 
ich, dankte recht sehr, eilte die 3/ 4 Stunden hinunter, nahm 
zum Verdruß des Wirthes meine Sachen und rannte wieder 
bergan, kam aber [doch erst] auf die Plattform efeea, als der 
letzte Sonnenrand hinabsank. Kein Faden war mehr trocken 
an mir, ich wickelte mich fest in meinen Mantel, stand allein im 
Zwielicht, denn Alles war längst weggeeilt md [um] zu Tisch 
gegangen [zu kommen]. Die majestätische Ruhe, das Weihe 
volle des so großartigen Naturbildes, wie ich noch keines ge 
sehen hatte, ergriffen mich in mächtigster Weise, ich fühlte so 
recht, wie nicht nur der Einzelne nichts, so gar nichts ist ge 
genüber dem All; es kamen gar ernste Gedanken über mich, 
ich wartete, bis es noch mehr Nacht wurde, was da oben ra 
scher geht als unten im Thale, dann ging ich auf mein Zimmer, 
kleidete mich völlig um und trat in den Speisesaal, in dem bei 
hundert Personen in fröhlichem Geschwätze ein für meine da 
maligen Begriffe sehr üppiges Mahl einnahmen. Elegante Toi 
letten, die verschiedenen Sprachen, weiche da durcheinander 
surrten, alles Gesellschaftliche hochentwickelt, bei den Mei 
sten wohl auch ein übergroßes Bewußtsein ihrer Bedeutung - 
es war ein so arger Gegensatz [zur zweifellosen Größe draus- 
sen,] daß er mir für immer in lebhafter Erinnerung geblieben 
ist. 
Der starke Marsch hatte mir gut bekommen, kaum horte ich 
[ertönte] der Kuhreigen, als ich munter aus dem Bette sprang 
und einer der Ersten draußen war. Rein war der nahezu noch 
nächtliche Himmel, Nebel lag im Thale, [wieder] feierlich ernst 
war der Anblick, der sich darbot und wenn auch die allmälig 
zunehmende Helle [bald] mildernd wirkte, so war’s doch erst 
als der Sonnenrand sichtbar wurde, daß Alles wie mit einem 
Male zu Freude sich änderte. Bald schwanden die Nebel im 
Thal, die Seen funkelten, es kam wohlige Wärme, die ganze 
Natur lachte freudig [fröhlich] auf ob des herrlichen Tages, der 
angebrochen war, und Heil mir! ich konnte es bereits voll mit 
genießen! Ich stieg nach Weggis ab, fuhr nach Fluelen und 
Amsteg, fand mich auf dem Dampfschiffe mit einem nur we 
nige Jahre älteren Wiener Namens Borckenstein, dem Chef 
eines angesehenen Fabrikhauses und einem nicht älteren 
Münchener, Kohn, zusamen, welche auch das Berner Ober 
land zu durchwandern vorhatten. Ich sagte, ich könne mich lei 
der ihnen nicht anschließen, ich müsse erst nach Luzern, um 
auf meinen Kreditbrief Geld zu beheben. Borckenstein besah 
ihn, er war auf einen reichlichen Betrag lautend, denn ich 
wollte zur Ausstellung nach München, fand vielleicht dort auch 
etwas zu kaufen. Der ist ja, sagte er, von Stametz-Mayer ei 
genhändig geschrieben; hat Ihr Vater das Geld dafür erlegen 
müssen? - Nein, was ich brauchen werde, wird nachher 
[zurückge]dddezah\\. - Nun, ich trage mehr Geld bei mir, als 
ich, als wir vielleicht Beide brauchen werden, ich gebe Ihnen 
nur ein Theil; brauchen wir doch noch, können wir Ihren Kredit 
brief benützen, sonst rechnen wir daheim ab. - Ich ging also 
mit Beiden durch’s Berner Oberland, der reiseerfahrene 
Borckenstein war mir ein lieber Maostro [Mentor], dem ich 
mich gerne unterordnete. Wir kamen nach Grindlwald, von wo 
199
	        
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