Freund verloren, der mir ein nicht zu ersetzender Hausarzt
war und mit dem ich mich selbst über die heikelsten Vorkomm
nisse vertrauensvoll berathen konnte. [So]leb legte [ich denn
auch] dankbar Jahr um Jahr einen Kranz auf sein zu frühes
Grab! - In Einem, es dürfte aber nicht das Einzige gewesen
sein, konnte ich Fioder nicht beipflichten, nämlich als er sagte,
ich sei wohl Verstandes-, aber nicht Gemüthsmensch, da ich
aber wußte, daß ein Einwurf ihn nur zu selbst gewagten Er
klärungen seines Ausspruches veranlassen würde, ließ ich es
um so lieber dabei bewenden, als ich dachte, man komme mit
ruhig erwägendem Verstände meist besser durch die Welt, als
mit [seinem]dem allerdings vollem Gegensatz der Gemütsdu
selei, wie ich sie z. B. wiederholt im Gebirge beobachten
konnte. Gar zartfühlende Damen bemitleideten da die Träger,
welche Fremde den Berg hinaufzubringen hatten. Ich erlaubte
mir dann, einzuwenden, daß diese doch kräftigen Leute sich
nur in reiner, guter Luft abmühen, allerdings manchmal äch
zen und übermüdet thun, aber vielleicht doch nur, um eine et
was höhere Entlohnung zu erlangen, daß sie aber gewiß vor
Allem wünschen, den nächsten Tag wieder in gleicher Weise
in Anspruch genommen zu werden. Wenn wir dagegen der Ar
beiter in den Blei- und Schwefelminen, der in den Arsenikgru
ben oder in den Kohlenbergwerken gedenken, welch’ letztere
in nachtfinsteren Schächten ob der oft tödtlichen Gase in ste
ter Lebensgefahr schweben und sie [lange] nicht so gut be
zahlt sind wie jene Träger, so scheint mir wohl hier das Mitleid
mehr berechtigt zu sein.
Leichter mag es allerdings sein, sich vorzustellen, was Ver
stand, als was Gemüt ist. Takt, welcher im Leben weit mehr
bedeutet, als jene, denen er gebricht, zugeben wollen, kann
dem Verstände zugezählt werden, Zartsinn und Feingefühl
aber doch kaum mehr. Für Gemüt läßt sich so wenig ein be
stimmte Umgrenzung aufstellen, wie wohl für alle Begriffe, für
welche unsere Sprache immer nur allgemein bezeichnende
Worte hat. Wenn Gemüt und Verstand richtig gepaart sind, ja
letzterer überwiegt, dürften wohl die daraus sich ergebenden
Entscheidungen kaum sehr zu tadeln sein. Ich sehe Manche,
die sich höchst gemütvoll geben, das Unglück Anderer tief er
griffen beklagen, [sich aber] darum doch nicht sieb herbeilas
sen, auch nur den Finger zu rühren, um es zu mildern, [ob
gleich sie] sich aber trotzdem für besondere Gemütsmen
schen halten. Daß mich bei ergreifenden Szenen im Theater
oder selbst nur beim Lesen eine Beklommenheit befällt, mir
Thränen in die Augen treten, so daß ich mich aufraffen muß,
damit sie mir nicht über die Wangen rollen, mag ja von einer
einseitigen Empfindsamkeit herrühren; daß ich Einiges für
Wohlthätigkeitszwecke leiste, geschieht gewiß auch mit Rück
sicht auf meine Stellung in der Gesellschaft; daß aber nicht
auch Mitgefühl dabei mitspielt, also auch dem Gemüte eine
Rolle zufällt - nun, das mag dahingestellt bleiben! Ein Beweis
für oder wider läßt sich auch da nicht erbringen, [derartige] An
schauungen sind nur selten zu widerlegen. - Es ist ja auch ge
sagt worden, die selbstaufopfernde Mutterliebe sei nur Egois
mus, denn das Leben des Kindes sei die Existenzbedingung
mancher Mutter; um diese Bedingung zu erhalten, setze sie
ihr eigenes Leben ein. Wenn man die edelste, ja idealste Ge-
fühlsbethätigung, die man kaum genug bewundern und vereh
ren kann, mit einem Worte bezeichnet, das im Allgemeinen
ISS
mm
mm
■ ssi
: 'S \l
IIS
m
: :
mm
ssl:
«H
m
S,.:
mm
: :
iSSS!
m
nas
wgggm
m
:
P
LJE
%
SMJpffiSiiKyK -
msemm
mmm
miSiimss.
616 Prunkvase; zeitgenössische Photographie, vgl. Abb. 617, S. 265
616 Monumental vase; Contemporary photograph, iü. 617, p. 265
264