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Neubauten und Concurrenzen in Oesterreich und Ungarn.
Nr. 9.
Moderne Bauten in den Alpengegenden.
:as Interesse an den Schönheiten der Natur -
ein Gefühl, das uns Modernen fast selbstver-
i ständlich erscheint — war nicht immer und
überall vorhanden. Es ist kaum mehr als zwei
hundert Jahre alt. Die Uebersättigung an der verschnör
kelten Cultur des Rococo erzeugte eine Sehnsucht nach
Frische und Einfachheit, welche den Weg suchte zur un
gekünstelten Natur. Fand diese Sehnsucht zunächst ihren
Ausdruck auch nur in den Schäferspielen und Idyllen,
zuletzt führte sie doch zu Gebirg und Wald, deren er
habene Schönheit erst allmälig begriffen wurde.
Als Consequenz dieses erwachenden Naturgefühles
wurden die Bauern und ihre Lebensweise interessant und
studirt, und wurden diese ein beliebtes Object für Kunst
und Literatur.
Die eingehende Beschäftigung mit denselben lenkte
die Beachtung auch auf diese primitive Cultur,. und man
fand, dass sie an und für sich Werth besitze.
Man entdeckte, dass diesem rohen Volksthum ein
unverdorbener und ungekünstelter Sinn für die Schönheit
der Natur, aber auch ein natürlicher, oft sehr feiner Ge
schmack innewohne, eine tiefe Empfindung für Form
und Farbe, für Harmonie und Gesammtwirkung.
So wurden das Volkslied und die Volksmusik ge
sammelt und studirt. Man würdigte die Volkstracht und
die Volksbräuche und that Schritte zu ihrer Erhaltung,
endlich kam auch die bildende Kunst des Volkes zu An
sehen und Werthschätzung. Zu allerletzt leider erst die
Baukunst des Volkes. Das Bauernhaus ist grundver
schieden von der Architektur der Städte. Aber wenn man
ihm nähertritt, erkennt man, dass es manche Eigenheiten
in naiver Weise in sich vereint, die der «gelernte» Ar
chitekt unserer Tage «mit heissem Bemühen» anstrebt.
Es kennzeichnet sich deutlich als Product des Bodens, in
dem es wurzelt, entstanden in Berücksichtigung der zur
Verfügung stehenden Materialien, ihrer Verwendbarkeit,
Structur und Bearbeitungsweise. Die klimatischen und die
örtlichen Verhältnisse sind ebenso mit dem Blicke des
Naturbeobachters und Kenners richtig erfasst und streng
berücksichtigt. Die Formen sind primitiv, aber immer
instructiv und constructiv, und nicht zu allerletzt ist be-
merkenswerth, dass das Haus von innen herausgebaut ist,
das heisst, es ist das Aeussere nur der klare Ausdruck
der nach dem Bedürfniss vorgenommenen inneren Glie
derung und Gruppirung.
So finden wir hier die Grundprincipien der Archi
tektur in einem einfachen Kunstwerke von manchesmal
entzückender Gesammtwirkung vereinigt.
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Während aber in der Welt der höheren Cultur der
Einzelne seine Eigenart in dem herrschenden Stile zum
Ausdrucke zu bringen trachtet, dominirt im Gebirge der
Stamm, der Gau. Er hat seine eigene Mundart und seine
Lieder, seine besondere Tracht und Bauweise. Dieser
landschaftliche Stil, der sich traditionell von Geschlecht
zu Geschlecht, von Vater auf Sohn vererbt, lässt zwar
dem Einzelnen wenig Spielraum, höchstens nur im Zier
rath, aber er trägt wieder dazu bei. dass die Gesammt-
heit, das ganze Dorf eine harmonische und — weil dieses
nicht zu gross ist — auch nicht ermüdende Gesammt-
erscheinung bietet, die wunderbar zum Charakter der
Gegend stimmt.
Es wäre übrigens irrig, zu glauben, der Bauer
ändere sich absolut nicht in seiner Geschmacksrichtung.
Er ist auch neuerungslustig, so, wie der Städter, nur dass
er langsamer zugreift und infolgedessen um ein oder
zwei Jahrhunderte hinter den städtischen Moden drein
hinkt. Das zeigt sich in seiner Kleidertracht, wie bei dem
Schmucke des Hauses und dem Hausrath. Derselbe Bauer,
der seine Wohnräume genau so emtheilt, wie vor tausend
Jahren, stellt Tische und Schränke hinein, wie sie in den
Städten unsere Urgrossväter liebten. Der Rococoschnörkel
ist im Bauernhause die jüngste Mode, und weil dieser in
unseren Tagen auch in den Städten wieder zur Herr
schaft gelangt ist, sind die Bauernmöbel so sehr modern
geworden.
Alles in Allem gebührt dem Bauernhause eine
gleiche Stellung in der Architektur, wie sie dem Volks
liede in der Literatur längst nicht mehr verweigert wird.
Spät erst erfolgte der Beschluss des Verbandes deutscher
Architektenvereine, die besten deutschen Bauernhäuser
in Deutschland und Oesterreich im Bilde aufzunehmen und
dadurch zu ihrer Erhaltung beizutragen. Zu spät für viele
herrliche Objecte, die inzwischen dem Unverstände zum
Opfer gefallen sind, aber jedenfalls ein dankenswerther
Beschluss.
Ein anderer Missstand jedoch, der sich in unseren
Alpendörfern und Städten immer mehr fühlbar und be
merkbar macht, heischt dringend nach Erörterung; viel
leicht wird dadurch der Weg zur Besserung geebnet. Es
ist dies die Art, wie die Neubauten in den Alpengegenden
gegenwärtig ausgeführt werden.
Da ist zunächst die Bauthätigkeit der Einheimischen,
der Bauern, zu erwähnen. So conservativ auch der Bauer
im Allgemeinen ist und in seiner Behausung an der
Grenze der Möglichkeit des Bewohnens bleibt, es wird
ziemlich viel in diesen Gegenden gebaut: der Strom der
Städter, der über den Sommer in die Alpen fluthet, hat
dorthin nicht nur eine gewisse Wohlhabenheit, sondern
auch einen gesteigerten Sinn für Behaglichkeit gebracht.
In früheren Zeiten baute sich der Bauer sein Haus
selbst. Das moderne Bauernhaus wird vom «gelernten»
Baumeister geplant und ausgeführt. Dieser hat in der
Gewerbeschule Gesetze und Vorschriften erlernt, die
Formen der Antike und die Regeln des Vignola und,
indem er diese üben will, verlässt er die landschaftliche
Tradition und ihn verlässt der natürliche ursprüngliche
Schönheitssinn, es entstehen mit Hilfe von in der Regel
in den Städten längst, verworfenen, veralteten Muster
sammlungen und Vorlagenwerken Producte, welche von
der volksthümlichen Form des alten Bauernhauses himmel
weit entfernt sind: es fehlt ihnen der zarte Hauch des
Einfach-Schönen, welcher das alte auszeichnet.
Aber noch eine andere Erscheinung begegnet uns
jetzt vielfach in den kleinen Städten der Alpen. Man
sieht erstaunt die Architektur der Gressstadt erstehen.
Vor Jahren, zur Zeit des volkswirthschaftlichen Auf
schwunges, erhielt, um ein Beispiel anzuführen, die lieb
liche Stadt Gmunden ein grosses modernes Hotel, das
noch heute mit seiner vierstöckigen Renaissance-Zinshaus-
fagade die Stadt verunziert. Dem reihte sich in jüngster
Zeit ein hochbarockes Postgebäude an. In Ischl wird die
landschaftliche gute alte Fagade des Hotel zur Post eben
falls verbarockisirt, und an mehreren anderen Orten
wurden an und für sich architektonisch correcte, aber in
dièse Gegend absolut nicht hineinpassende Villen auf
geführt.
Und wenn an einem dritten Orte in den Alpen eine
Villa im Stile eines russischen Bauernhauses errichtet
wurde, so lügt sich dieselbe ebensowenig in den Rahmen
der Umgebung hinein, sondern zerstört in ihrer Weise
das schöne harmonische Gesammtbild.
Nicht bloss das gute Alte an der alpenländischen
Architektur zu erhalten, sondern das schöne Alpenland
auch vor schlechtem Neuen zu bewahren, wäre dringend
nothwendig, es ist schon zu viel in dieser Hinsicht ge
sündigt worden. M—k.