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Volltext: Neubauten und Concurrenzen in Österreich und Ungarn, 1. Jahrgang 1895

Seite 8fi. 
Neubauten und Concurrenzen in Oesterreich und Ungarn. 
Nr. 9. 
Moderne Bauten in den Alpengegenden. 
:as Interesse an den Schönheiten der Natur - 
ein Gefühl, das uns Modernen fast selbstver- 
i ständlich erscheint — war nicht immer und 
überall vorhanden. Es ist kaum mehr als zwei 
hundert Jahre alt. Die Uebersättigung an der verschnör 
kelten Cultur des Rococo erzeugte eine Sehnsucht nach 
Frische und Einfachheit, welche den Weg suchte zur un 
gekünstelten Natur. Fand diese Sehnsucht zunächst ihren 
Ausdruck auch nur in den Schäferspielen und Idyllen, 
zuletzt führte sie doch zu Gebirg und Wald, deren er 
habene Schönheit erst allmälig begriffen wurde. 
Als Consequenz dieses erwachenden Naturgefühles 
wurden die Bauern und ihre Lebensweise interessant und 
studirt, und wurden diese ein beliebtes Object für Kunst 
und Literatur. 
Die eingehende Beschäftigung mit denselben lenkte 
die Beachtung auch auf diese primitive Cultur,. und man 
fand, dass sie an und für sich Werth besitze. 
Man entdeckte, dass diesem rohen Volksthum ein 
unverdorbener und ungekünstelter Sinn für die Schönheit 
der Natur, aber auch ein natürlicher, oft sehr feiner Ge 
schmack innewohne, eine tiefe Empfindung für Form 
und Farbe, für Harmonie und Gesammtwirkung. 
So wurden das Volkslied und die Volksmusik ge 
sammelt und studirt. Man würdigte die Volkstracht und 
die Volksbräuche und that Schritte zu ihrer Erhaltung, 
endlich kam auch die bildende Kunst des Volkes zu An 
sehen und Werthschätzung. Zu allerletzt leider erst die 
Baukunst des Volkes. Das Bauernhaus ist grundver 
schieden von der Architektur der Städte. Aber wenn man 
ihm nähertritt, erkennt man, dass es manche Eigenheiten 
in naiver Weise in sich vereint, die der «gelernte» Ar 
chitekt unserer Tage «mit heissem Bemühen» anstrebt. 
Es kennzeichnet sich deutlich als Product des Bodens, in 
dem es wurzelt, entstanden in Berücksichtigung der zur 
Verfügung stehenden Materialien, ihrer Verwendbarkeit, 
Structur und Bearbeitungsweise. Die klimatischen und die 
örtlichen Verhältnisse sind ebenso mit dem Blicke des 
Naturbeobachters und Kenners richtig erfasst und streng 
berücksichtigt. Die Formen sind primitiv, aber immer 
instructiv und constructiv, und nicht zu allerletzt ist be- 
merkenswerth, dass das Haus von innen herausgebaut ist, 
das heisst, es ist das Aeussere nur der klare Ausdruck 
der nach dem Bedürfniss vorgenommenen inneren Glie 
derung und Gruppirung. 
So finden wir hier die Grundprincipien der Archi 
tektur in einem einfachen Kunstwerke von manchesmal 
entzückender Gesammtwirkung vereinigt. 
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Während aber in der Welt der höheren Cultur der 
Einzelne seine Eigenart in dem herrschenden Stile zum 
Ausdrucke zu bringen trachtet, dominirt im Gebirge der 
Stamm, der Gau. Er hat seine eigene Mundart und seine 
Lieder, seine besondere Tracht und Bauweise. Dieser 
landschaftliche Stil, der sich traditionell von Geschlecht 
zu Geschlecht, von Vater auf Sohn vererbt, lässt zwar 
dem Einzelnen wenig Spielraum, höchstens nur im Zier 
rath, aber er trägt wieder dazu bei. dass die Gesammt- 
heit, das ganze Dorf eine harmonische und — weil dieses 
nicht zu gross ist — auch nicht ermüdende Gesammt- 
erscheinung bietet, die wunderbar zum Charakter der 
Gegend stimmt. 
Es wäre übrigens irrig, zu glauben, der Bauer 
ändere sich absolut nicht in seiner Geschmacksrichtung. 
Er ist auch neuerungslustig, so, wie der Städter, nur dass 
er langsamer zugreift und infolgedessen um ein oder 
zwei Jahrhunderte hinter den städtischen Moden drein 
hinkt. Das zeigt sich in seiner Kleidertracht, wie bei dem 
Schmucke des Hauses und dem Hausrath. Derselbe Bauer, 
der seine Wohnräume genau so emtheilt, wie vor tausend 
Jahren, stellt Tische und Schränke hinein, wie sie in den 
Städten unsere Urgrossväter liebten. Der Rococoschnörkel 
ist im Bauernhause die jüngste Mode, und weil dieser in 
unseren Tagen auch in den Städten wieder zur Herr 
schaft gelangt ist, sind die Bauernmöbel so sehr modern 
geworden. 
Alles in Allem gebührt dem Bauernhause eine 
gleiche Stellung in der Architektur, wie sie dem Volks 
liede in der Literatur längst nicht mehr verweigert wird. 
Spät erst erfolgte der Beschluss des Verbandes deutscher 
Architektenvereine, die besten deutschen Bauernhäuser 
in Deutschland und Oesterreich im Bilde aufzunehmen und 
dadurch zu ihrer Erhaltung beizutragen. Zu spät für viele 
herrliche Objecte, die inzwischen dem Unverstände zum 
Opfer gefallen sind, aber jedenfalls ein dankenswerther 
Beschluss. 
Ein anderer Missstand jedoch, der sich in unseren 
Alpendörfern und Städten immer mehr fühlbar und be 
merkbar macht, heischt dringend nach Erörterung; viel 
leicht wird dadurch der Weg zur Besserung geebnet. Es 
ist dies die Art, wie die Neubauten in den Alpengegenden 
gegenwärtig ausgeführt werden. 
Da ist zunächst die Bauthätigkeit der Einheimischen, 
der Bauern, zu erwähnen. So conservativ auch der Bauer 
im Allgemeinen ist und in seiner Behausung an der 
Grenze der Möglichkeit des Bewohnens bleibt, es wird 
ziemlich viel in diesen Gegenden gebaut: der Strom der 
Städter, der über den Sommer in die Alpen fluthet, hat 
dorthin nicht nur eine gewisse Wohlhabenheit, sondern 
auch einen gesteigerten Sinn für Behaglichkeit gebracht. 
In früheren Zeiten baute sich der Bauer sein Haus 
selbst. Das moderne Bauernhaus wird vom «gelernten» 
Baumeister geplant und ausgeführt. Dieser hat in der 
Gewerbeschule Gesetze und Vorschriften erlernt, die 
Formen der Antike und die Regeln des Vignola und, 
indem er diese üben will, verlässt er die landschaftliche 
Tradition und ihn verlässt der natürliche ursprüngliche 
Schönheitssinn, es entstehen mit Hilfe von in der Regel 
in den Städten längst, verworfenen, veralteten Muster 
sammlungen und Vorlagenwerken Producte, welche von 
der volksthümlichen Form des alten Bauernhauses himmel 
weit entfernt sind: es fehlt ihnen der zarte Hauch des 
Einfach-Schönen, welcher das alte auszeichnet. 
Aber noch eine andere Erscheinung begegnet uns 
jetzt vielfach in den kleinen Städten der Alpen. Man 
sieht erstaunt die Architektur der Gressstadt erstehen. 
Vor Jahren, zur Zeit des volkswirthschaftlichen Auf 
schwunges, erhielt, um ein Beispiel anzuführen, die lieb 
liche Stadt Gmunden ein grosses modernes Hotel, das 
noch heute mit seiner vierstöckigen Renaissance-Zinshaus- 
fagade die Stadt verunziert. Dem reihte sich in jüngster 
Zeit ein hochbarockes Postgebäude an. In Ischl wird die 
landschaftliche gute alte Fagade des Hotel zur Post eben 
falls verbarockisirt, und an mehreren anderen Orten 
wurden an und für sich architektonisch correcte, aber in 
dièse Gegend absolut nicht hineinpassende Villen auf 
geführt. 
Und wenn an einem dritten Orte in den Alpen eine 
Villa im Stile eines russischen Bauernhauses errichtet 
wurde, so lügt sich dieselbe ebensowenig in den Rahmen 
der Umgebung hinein, sondern zerstört in ihrer Weise 
das schöne harmonische Gesammtbild. 
Nicht bloss das gute Alte an der alpenländischen 
Architektur zu erhalten, sondern das schöne Alpenland 
auch vor schlechtem Neuen zu bewahren, wäre dringend 
nothwendig, es ist schon zu viel in dieser Hinsicht ge 
sündigt worden. M—k.
	        
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