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Volltext: Neubauten und Concurrenzen in Österreich und Ungarn, 2. Jahrgang 1896

Seite 10. 
Neubauten und Concurrenzen in Oesterreich und Ungarn. 
Nr. 2. 
den Mittelweg zu finden, umsomehr, als die Baugrund 
besitzer an die bisherige Ordnung gewöhnt, also verwöhnt 
sind. Hat doch die derzeitige Bauordnung den bedenk 
lichen Ruhm, die dichteste Verbauung der Baugründe zu 
gestatten, so dicht, wie dies in keiner anderen Gressstadt 
geduldet wird; denn nirgends anderswo ist eine Verbauung 
bis auf den Rest von bloss 15°/ 0 dèr Grundfläche zu 
lässig, wie selbe § 43 erlaubt, nach welchem auch 
Wohnräume durch Lichthöfe von 12 m 8 Grundfläche 
„erhellt“ werden können. Freilich heisst es in einem 
Athem, dass „den sanitären Anforderungen bezüglich 
Luft und Licht vollkommen Genüge geleistet werden 
soll“. Was nützt aber eine solche schönklingende Phrase, 
wenn gleich darauf nackte Ziffern dagegen Hohn sprechen? 
Ebensowenig oder ebensoviel wie der Grundsatz „Wohn 
räume sollen licht und ventilirbar sein“ im § 42, 
welcher bekanntlich nicht zu verhüten vermag, dass in 
neuen Bauten hie und da Wohnräume geschaffen werden, 
in die selten ein Sonnenstrahl einzudringen vermag. Mit 
diesen und ähnlichen traurigen Uebelständen, die durch 
die Bauordnung geduldet, ja gewissermassen gross 
gezüchtet worden sind, mag es Zusammenhängen, dass 
Wien trotz seiner gesunden Lage am Russe des Gebirges, 
trotz des durch die Hochquellenleitung gebotenen, jenem 
aller anderen Gressstädte gegenüber erlesenen Wassers 
keine besonders gesunde Stadt ist. 
Ziffern reden eine eindringliche Sprache, und es regt 
ernste Gedanken an, dass die Gesammtsterblichkeit 
in Wien im Jahre 1891 und ebenso 1892 je 25-0°4 o , im 
Jahre 1893 24 0 o / oo betrug, während z. B. im zweit- 
angeführen Jahre in Paris nur 22 2, in London nur 20'6, 
in Berlin nur 20'1 Todesfälle auf 1000 Einwohner vor 
kamen. Wäre Wien ebenso gesund wie Berlin, so hätte 
es nach Obigem und mit Rücksicht auf die Einwohner 
zahl von nahezu l‘/ a Millionen in einem einzigen Jahre 
um 6000 — 7000 Todesfälle weniger zu beklagen gehabt, 
oder die durchschnittliche Lebensdauer des Einzelnen 
wäre nahezu um ein Fünftel länger gewesen. 
In der politischen Parteien Zwist und Hader ist es 
fast in Vergessenheit gerathen, dass einer der wichtigsten 
Beweggründe zur Schaffung von Gross-Wien die Regelung 
der sanitären Verhältnisse der Gressstadt war, die inso- 
lange nicht wirksam in Angriff genommen werden konnte, 
als unmittelbar an den Grenzen derselben eine Reihe 
volkreicher Gemeinden sich ausdehnte, deren Verwaltungen 
aus verschiedenen Gründen — der Mangel an Geldmitteln 
spielte eine Hauptrolle — zu einem gemeinsamen plan- 
mässigen Zusammenwirken mit der Hauptstadt nie sich 
hätten entschliessen können. 
Jetzt, nach Ablauf eines Jahrfünfts, schickt es sich 
wohl, daran zu erinnern, dass in diesem verhältnissmässig 
ö 
kurzen Zeiträume zu Nutz und Frommen der öffentlichen 
Gesundheit bereits Bedeutendes geleistet oder doch in 
Angriff genommen worden ist. Schon jetzt ist in alle 
dichter verbauten Gemeindegebiete das Hochquellwasser 
eingeleitet; die technischen Arbeiten sind in vollem Zu»e 
um auch den erübrigenden hochliegenden Geländen die 
Segnungen dieser Wasserleitung zu Theil werden zu 
lassen. Die das verbaute Grossstadtgebiet durchziehenden 
Wasserläufe sind theils überwölbt worden, wie z. B. der 
Aiserbach im XVII. und der Krotenbach im XVIII. Be-‘ 
zirke, theils werden längs derselben Sammelcanäle er 
baut, um die Schmutzwässer in unschädlicher und nicht 
belästigender Weise zu fassen und abzuleiten. Bekannt 
lich ist der Hauptsammelcanal längs des linken Ufers des 
Donaucanals schon seit mehr als Jahresfrist vollendet, 
jener am rechten Ufer in Arbeit, so dass also die Rein 
haltung des die Stadt durchquerenden Donauarmes von 
den städtischen Abwässern in naher Zeit durchgeführt 
sein wird. Gleicherweise wird an der Sanirung des übel 
beleumundeten und vielbespöttelten Wienflusses rüstig 
geschaffen. 
Durch diese technischen Werke wird zweifellos der 
Gesundheitszustand eine erhebliche Verbesserung er- 
fahren. Wenn aber dieselbe den Wienern wirklich aus 
giebig zu Gute kommen soll, so muss mittelst einer 
durchgreifenden Umgestaltung der Bauordnung auch an 
gebahnt werden, dass in Zukunft nur solche Bauten er 
stehen, welche ein durchaus gesundheitsmässiges Wohnen 
dauernd verbürgen. 
Die Nothwendigkeit der Schaffung einer 
neuen Bauordnung gilt in allen massgebenden Kreisen 
als feststehende Thatsache. Die k. k. niederösterreichische 
Statthalterei hat schon vor mehr als fünf Jahren dieser 
Erkenntniss dadurch bestimmten Ausdruck gegeben, dass 
selbe die berufenen Behörden und Körperschaften zur 
Erstattung von Wohlmeinungen und Vorschlägen einge 
laden hat. Unter den hiedurch entstandenen und öffent 
lich zugänglichen Gutachten zeichnet sich jenes des öster 
reichischen Ingenieur- und Architektenvereines durch be 
sondere, allerdings nach Ansicht Mancher zu weit gehende 
Gründlichkeit aus.*) 
Wenn auch der jetzige Leiter der Wiener Gemeinde 
verwaltung jüngst die Beschlussfassung über die neue 
Bauordnung als der künftigen Gemeindevertretung Vor 
behalten bezeichnete, dürfte doch die Erörterung der 
hauptsächlichsten Mängel der derzeit gütigen Bestim 
mungen als zeitgemäss hier am richtigen Platze sein. 
Das Gemeindegebiet von Wien, welches vor der 
Einbeziehung der Vororte 5540 ha umfasste und seither 
17.812 ha überdeckt, hat naturgeniäss in seinen verschie 
denen Theilen ein wechselndes bauliches Aussehen. Dem 
Stadtkerne mit seiner dichten und hohen Verbauung 
reihen sich nach aussen die ehemaligen Vorstädte an, 
dann die einbezogenen Vororte mit zum Theile gross 
städtischer Bauweise, zum Theile aber dorfmässigem Ge 
präge, dazwischen, willkürlich eingestreut, sogenannte 
Villenviertel mit einzelnstehenden Häusern oder mit 
Vorgärten. 
Durch das erwähnte Landesgesetz vom Jahre 1890 
wurde bekanntlich die bis dahin der Hauptsache nach für 
die meisten Wohnhausbauten gleichförmige Vorschrift 
einigermassen, jedoch durchaus nicht in ausreichender Art 
abgestuft, und die Bestimmung einzelner genau abge 
grenzter Gebietstheile für industrielle Bauten, dann solcher 
für die Verbauung mit Wohnhäusern, und zwar in ge 
schlossenen Fronten, mit Vorgärten, oder aber in offener 
Bauweise angeregt, was seither auch durchgeführt worden 
ist. Die so entstandenen Bauzonen umfassen jedoch zum 
Theile übergrosse Gebiete, deren Verhältnisse höchst un 
gleichartige sind. In den Bezirken I bis X ist mit geringen 
*) Grundlagen für die Verfassung einer Bauordnung 
der k. k. Reiclrsliaupt- und Residenzstadt Wien. Verlag des öster 
reichischen Ingenieur- und Architektenvereines, 1894.
	        
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