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Neubauten und Concurrenzen in Oesterreich und Ungarn.
Nr. 9.
staltung jedes Raumes nach seiner Bestimmung.
Das ist das feste Gerippe für. die Innen-Architektur. Diese
aber besteht nicht in Anbringung von Karniesen und
Holzkehlen, von Plafonds in Stuck oder Holz, sondern
in der durch Formen nur gehobenen Betonung der Be
stimmung jedes Raumes.
Es gibt Nationen, bei denen das Verständniss für die
Bedeutung und darum für die Ausgestaltung des inneren
Hauses noch lebendig ist; es sind dies jene westeuro
päischen Völker, bei welchen das Einfamilien-Wohnhaus
noch bevorzugt wird, hauptsächlich die Engländer. Ein
englischer Fachcollege beginnt seine Beschreibung des
englischen Wohnhauses mit den charakteristischen Worten:
„Das einzige sentimentale Gefühl, das laut zu äussern
kein Engländer der Gegenwart sich scheuen wird, ist die
Liebe zum Heim.“ „Home, sweet home.“ Der Anfang
eines berühmt gewordenen Liedes ist zum Sprichwort ge
worden neben dem stolzen, selbstbewussten Worte: „Mein
Haus ist mein
Schloss.“Das kommt
in der Wohnung
zum Ausdruck, trotz
den ausserordentlich
ungünstigen Bedin
gungen, unter denen
der Eigenwohhhaus-
bau in England ge
deiht. Denn vor
Allem kann man be-
kenntlich in London
keinen Bauplatz
ganz zu eigen er
werben. Dort be
steht von altersher
das merkwürdige
Verhältniss der Bau
platzverpachtung
auf eine gewisse
Reihe von (gewöhn
lich 99) Jahren. Nach
dieser Zeit fällt nicht
nur der Grund
seinem Besitzer zu,
sondern auch der
darauf aufgeführte
Bau. Ausserdem ist
der Boden enorm
theuer nach unseren
Begriffen und darum
ist die Normalpar-
celle sehr klein (in
der Regel 10—14;«
breit und etwa 50 m
tief). Umso bewun
derungswürdiger ist
die zur Type ge
wordene Lösung des
englischen Hauses.
Man merkt der
Wohnung an, dass sie die Schöpfung einer seefahrenden
Nation katexochen ist: auf dem kleinsten Raum die
grösstmögliche Bequemlichkeit und die grösstmögliche
Ausnützung desselben. Alles ist an seinem Platze und
Platz für Alles. Das ist aber wieder nur möglich, indem
für alle Einrichtungsgegenstände der Platz im vorhinein
ausgeklügelt ist; das ist keine mobile Einrichtung,
sondern eine auf das Haus speciell bezogene. Die Möbel
gehören zum Hause, sie bilden den Haupttheil der
inneren Architektur desselben.
Das Innere eines englischen Wohnhauses bietet einen
architektonischen Eindruck auch dann, wenn es — wie
es in den primitivsten Beispielen der Fall ist — gar keine
architektonischen Schmuck- und Zierformen aufweist. Ein
Motiv insbesonders ist es, welches im englischen Zimmer
die Architektur unbedingt vertritt: der Kamin. Der allein
gibt schon Veranlassung zur individuellen architektonischen
Ausgestaltung des Zimmers. ♦
Ein zweites Motiv ist das Fenster, womöglich
nur ein Fenster in jedem Raume und verschieden ge
formte, je nach der Bestimmung des Raumes.
Mit der verständnissvollen Verwendung dieser zwei
Motive erzielt das englische Zimmer einen Eindruck der
Traulichkeit und Behaglichkeit, eine Stimmung, um den
modernen Ausdruck zu gebrauchen, welcher ja Zweck
und Streben der architektonischen Ausbildung des Haus-
innern ist.
Wenden wir uns Frankreich, speciell Paris, zu, so
finden wir hier das Zinshaus das Einzelwohnhaus an Zahl
überwiegen; erst in jüngster Zeit beginnt das letztere
an Ausbreitung zu gewinnen. Die Art und das Wesen
des Zinshauses hat natürlich, wie schon oben erwähnt,
eine andere Ausbildung der Wohnung zur Folge. Allein
Spuren der in früheren Zeiten üblichen reichen architek
tonischen Durchbil
dung des Innern
sind dadurch noch
bis zum heutigen
Tage erhalten ge
blieben, dass zwei
architektonische
Motive sich selbst in
der Zinswohnung in
Paris bis jetzt er
halten haben; der
Kamin und der zur
Wohnung gehö
rende Spiegel; —
durch dieselben wird
nicht nur Gelegen
heit zur architekto
nischen Ausgestal
tung gegeben, son
dern die Zimmer
werden individuali-
sirt, und der hiezu
kommende Um
stand, dass die fran
zösische Wohnung
wegen der allge-
' mein üblichen
Wandschränke des
mobilen Kastens
entbehrt, trägt dazu
bei, dass die
Zimmereinrichtung
einen stabileren,
mehr architektoni
schen Charakter
zeigt. Wie ist es
aber bei uns mit der
Architektur des
Innern bestellt? Bei
uns, wo die Archi
tektur des Aeus-
sern schon eine rein decorative ist, ist sie in den meisten
Fällen im Innern entweder ganz vernachlässigt, oder aber
nicht mit dem entsprechenden Verständniss ausgebildet.
Es gibt in Wien ein kostbares Palais (wie kann,
nebenbei gesagt, ein Haus Palais genannt werden, wenn
es noch so reich geschmückt ist, wenn es neben der
Hauptwohnung noch Zinswohnungen enthält?), in diesem
Palais soll ein Salonerker durch ein — rusticirtes Portal
abgetheilt sein! Wie muss das wirken, selbst wenn ein
Gedon die Hermen hiezu modellirt hat?
Wohnlich ist so ein Zimmer wohl keinesfalls und die
Wohnlichkeit und Traulichkeit wird auch dann nicht er
zielt, wenn das Mittel angewendet wird, das die boshafte
Welt einem reichgewordenen „Kunstmäcen“ zuschreibt,
der einen Maler jahraus jahrein dafür bezahlte, dass er
täglich in dem geordneten Hausfath in den aufgehäuften
Figurale Mittelgruppe der Fontaine lumineuse der Millenniums-Ausstellung in Budapest.
Bildhauer Prof. Matray in Budapest.
Die Budapester Millenniums-Ausstellung bietet ihren Besuchern auch das bis dahin in
Budapest noch unbekannte Schauspiel einer Fontaine lumineuse, welche seit der Pariser
Weltausstellung von 1889 ein Beiwerk jeder Ausstellung ist. Die Architektur des Brunnens
rührt von Architekt Oskar Marmorek her, welcher dem Bildhauer Prof. Matray auch die
Anregung für die figurale Mittelgruppe gab, die wir beistehend reproduciren. Es stellt
dieselbe eine nationale ungarische Sage dar, die der Fee Sio, der Beherrscherin des
Plattensees.