1903
ARCHITEKTONISCHE MONATSHEFTE
Heft 8
Wohnhaus in der Pariserstrasse Entwurf: Architekt Andreas Blank in München,
in München. Erbaut von Thomas Hartlsberger daselbst.
»Grobkalkmörtel« wurde in München wohl zuerst bei den
Fensterumrahmungen in den Höfen des Justizpalastes ange
wendet.
Seitdem hat diese Technik, gefördert vor allem durch die
oben berührten modernen Anschauungen und Forderungen,
einen recht begrüssenswerten Fortschritt genommen. Wie ander
wärts, so zeigt man auch vor allem in München gegenwärtig
eine Vorliebe für verständige und sinngemässe Anwendung der
selben. Besonders bei den zahlreichen Neubauten im nördlichen
Stadtviertel (Schwabing) wird sie häufig verwertet. Dass dann
aber bei dem Bestreben, die neue Methode immer systematischer
auszugestalten, gar oft wieder über die Stränge geschlagen wird,
dass in der Absicht, originell wirken zu wollen um jeden Preis,
auch viel Minderwertiges und Absurdes geschaffen und meist
auch vom Tagesgeschmack belobt und bestaunt wird, ist selbst
verständlich; es ist das eben auch eine Kinderkrankheit, wie
sie alles Werdende, Wachsende durchzumachen hat.
Aufs Geratewohl' greifen wir vier Münchener Wohnhäuser
heraus, die in der besprochenen Technik in den letzten Jahren
entstanden. Es sind sehr lehrreiche Beispiele darunter, aus
denen manche Erfahrung gewonnen werden kann; denn wenn
irgendwo, so gilt gerade auf dem Gebiet der Architektur der
Satz: »Si duo idem faciunt, non est idem.« Vorausgeschickt
mag werden, dass eine Kritik der architektonischen Grundlagen
der einzelnen Fassaden hier überhaupt nicht geübt werden
soll, obwohl es in manchen Fällen sehr verlockend wäre.
Uns ist es hier lediglich um die Beantwortung der Frage zu
thun: Wie hat der Architekt die Forderung, das tektonisch
feste Gefüge seiner Fassade sinnfällig zu dekorieren, aufgefasst
und durchgeführt?
Von unseren Abbildungen stellt die erste ein Haus in der
Schellingstrasse dar (Nr. 6), entworfen von den Architekten
Honig & Söldner. Was wir hier bei der Fassadendekoration
vor allem vermissen, ist ein einheitlicher Grundgedanke, ein
mächtiges Motiv, das durch die ganze Anlage hindurchgeht
und mit lauten Accenten bestimmend auf sie einwirkt. Trotz
der feinen Detailformen wirkt das Ganze infolgedessen etwas
kalt und nüchtern, ein Eindruck, der besonders auch durch
die glatten und schmucklosen Fenstergewände verstärkt wird.
An Fenster und Thür soll man sehen, dass man hier nicht
nur in die Wand geschlagene Löcher vor sich hat; besonders
die Thüre soll stets durch eine verständige Profilierung den
ästhetischen Eindruck des freundlichen Einladens erwecken.
Hier bewirken die scharfen Kanten eher die gegenteilige
Empfindung. Wie viel kann da mit ein paar schmalen Zier
leisten gewonnen werden! Dagegen ist, wie gesagt, das Detail
gut erfunden und auch recht wacker in der Ausführung. Be
sonders hübsch nehmen sich die zwei stilisierten Bäume zu
beiden Seiten der grossen Balkonthüren und die Giebelfüllung
mit ihrem knorrigen Astwerk aus.
Um es gleich vorauszuschicken: von den vier neuen
Häusern, die wir heute im Bilde bringen, möchten wir dem
von Professor Dülfer entworfenen den Vorzug geben. Das
selbe steht in der neuangelegten Hohenzollernstrasse in
Schwabing (Nr. 6a). Was hier vor allem in die Augen fällt,
ist die Verwendung von drei Farben; mit dem dunkleren Ocker
gelb der Hauptpartieen kontrastiert angenehm die hellere Be
handlung des Ornaments, das selbst wieder von neurotem Grunde
sich abhebt. Die heute allerdings noch etwas grellen Gegen
sätze der lebhaften Farben wird das berüchtigte Münchener
Klima recht bald verwischt haben. Sehr feine malerische Werte
bringt noch die warmrote Ziegelbedachung des unteren Ge
simses in die Fassade. Gut erfunden und richtig angepasst
ist vor allem auch der Blumenfries zwischen den Fenstern
des ersten und zweiten Stockwerks. Weniger glücklich sind
die Bekrönungen der zweiten Fensterreihe; der etwas un
motivierte Frauenkopf hätte hier wegbleiben können, um einem
leichten Flachornament mit vegetabilischen Elementen Raum
zu geben. Leider sind auch hier Fenster und Thüren hart
und scharfkantig eingeschnitten.
Aehnliche stilistische Grundsätze wie dieses Gebäude
sind an der Fassade des Hauses Nr. 85 der Pariserstrasse
verarbeitet, das von dem Architekten Blank entworfen wurde.
Auch hier sehen wir die Anwendung von zwei Farben, nur
mit dem Unterschied, dass hier die hellere Farbe den Grundton
abgibt, und die hellen Ornamente wieder in dunkle Felder ein
gebettet sind. Das Detail ist auch hier gut erfunden. Nur
macht die Fassade mit ihren kleinen, eingepressten Fenstern
etwas den Eindruck, als sei sie nur des dekorativen Schmuckes
wegen da, und nicht dieser ihrethalben.
Etwas extravagant aber geht’s bei einem von Helbig&Haiger
entworfenen und von Felix Schmidt errichteten Neubau der
Ainmillerstrasse (Nr. 22) zu. Hier tritt das in Erscheinung,
was oben bereits kurz berührt wurde: das unbezwingbare
Bestreben, um jeden Preis originell zu schaffen. Dass hier
einem begabten Architekten der Gaul einmal tüchtig durch
gegangen ist, lehrt schon ein flüchtiger Blick auf unsere Ab
bildung. Ein Sammelsurium von teilweise missverstandenen
tektonischen Gliedern und ornamentalen Ziermotiven. Ver
so
Wohnhaus in der Ainmiller
strasse in München.
Entwurf: Architekten Helbig & Haiger in München.
Erbaut von Baumeister Felix Schmidt daselbst.