Zur Geschichte der griechischen Keramik.
XXIII
Führen wir dieses Gesammtbild im Einzelnen durch, so muss zunächst bemerkt
werden, dass sich im schönen Stile schon in der Wahl der bevorzugten V asenformen ein
Umschwung geltend macht. Die Schale tritt eigentlich in den Hintergrund. Die Lieblings
formen des schönen Stiles sind die Olla, die Hydria, die Amphora a colonnette, vor Allem
aber der Glockenkrater; dazu kommen elegante, zierliche Formen, die Oinochoe und die
für den Putztisch der Frauen bestimmten Aryballen und Deckelbüchsen. Die Technik
wird freier und gewandter, indem die eingedrückten Vorzeichnungen, die Reliefcontouren
und die Innenzeichnung mit verdünntem Firniss aufgegeben werden. In einem späteren
Stadium wird die Vorliebe für Polychromie wie im schwarzfigurigen Stile wieder mächtig.
Ein Erlahmen der früheren Sorgfalt und eine gewisse Bequemlichkeit macht sich auch
insofern bemerkbar, als bei manchen Gefässformen, wie der Olla und dem Glockenkrater,
die eine Seite als Vorderseite, die andere als Rückseite betont wird. Die letztere wird nun
in der Regel von den sogenannten Mantelfiguren (Jünglinge in Conversationsscenen, wie
sie Hieron ausgebildet hatte) eingenommen, Figuren, die sich durch ihre nachlässige Aus
führung deutlich als etwas Nebensächliches gegenüber der Vorderseite kundgeben. (Mantel
figuren im strengen Stile. Nr. 338.) Die frühere Ausführlichkeit in der Behandlung der
Einzelheiten ist durch eine breite und einfache Wiedergabe derselben abgelöst. Es hängt
dies zusammen mit einer Aenderung der Tracht, die im 5. Jahrhundert in Athen vor sich
gegangen war, indem die altväterische jonische Tracht mit ihren zierlichen, künstlich gesteiften,
unzähligen Falten und den complicirten Frisuren einer freien und natürlichen Platz ge
macht hatte. Die Frauen erscheinen nun mit Vorliebe im dorischen Chiton; bei den
Männern zeigt sich eine Abweichung vom Brauche des Lebens, indem sie nur mehr mit
dem Mantel (beziehungsweise der Cfilamys) bekleidet oder vollständig nackt sind. Das,
worin die Malerei jetzt ihr Höchstes sucht, ist die tadellose Zeichnung des menschlichen
Körpers, die Schönheit in seiner Haltung und Bewegung. Das Auge, das im strengen
Stile bei den in Seitenansicht stehenden Figuren in Vorderansicht erscheint, erhält nun
die richtige Profilbildung. Während in der strengen Zeit die Seitenansicht der Figuren
das Gewöhnliche ist, die Versuche, eine Vorderansicht zu geben, noch tastend sind
(vgl. die Durisschale Nr. 324), wird dieselbe jetzt mit Vorliebe gewählt, nachdem man
für sie ein anmuthiges Schema gefunden hatte; das Standbein, auf welchem der Körper
mit ausgeschwungener Hüfte ruht, wird im Profil gezeichnet, das Spielbein, dessen Fuss
nur mit der Zehe auftritt, in Vorderansicht und in leiser Bewegung seitwärts ausgestreckt.
Auch in der Wahl der Darstellungsgebiete macht sich die Neigung zum Schönen
und Gefälligeren geltend. Die gewaltigen, wilden und rohen Züge der grossen Helden
sagen behagen nicht mehr dem Geschmacke, wie man denn die attischen Landessagen,
die Thaten des Theseus, Amazonenkämpfe, den Raub der Oreithyia und des Kephalos,
die Aussendung des Triptolemos bevorzugt; an Stelle der dramatisch bewegten Scenen
im strengen Stile tritt das ruhige, stimmungsvolle, oft nichtssagende Situationsbild, dem
es vor allem auf das schöne Motiv ankommt, in den Vordergrund. Es ist nur folgerichtig,
dass der schöne Stil besonders gerne die weibliche Gestalt wählt, ja, dass er direct für
den weiblichen Geschmack arbeitet. War im strengen Stile die für die Symposien der
Männer bestimmte Schale das Gefäss, an welchem die Malerei ihr Höchstes leistete, so
bedeuten Vasen, die den Putztisch der Frauen schmückten, die Salbbüchsen und Oelfläsch-
chen, die letzte originelle Leistung der attischen Keramik. Für die Frauen bestimmt,
nehmen sie auch das weibliche Leben zum Gegenstand ihrer Bilder. Es ist nicht das
erste Mal, dass sich die Maler mit demselben beschäftigen; in der archaischen Zeit wurden