man annehmen kann, daß, woher immer das Tuch gekommen sei, das darauf ab
gebildete Gesicht das Vorbild aller Pantokratorbilder ist. Daraus ergibt sich auch
das starre Erhalten des Typus in vielen Ausführungen, wie aus der Legende, daß
auf wunderbare Weise das Gesicht einmal mild und einmal streng aussehen konnte,
die beiden Formen des milden und des zürnenden Pantokrators entstanden sein
können. Das Malbuch erwähnt nur in § 439 das Bild des Pantokrators segnend und
mit dem Evangelienbuch für die Mitte der Kuppel, ohne zu sagen, wie es gemalt
werden soll, und in § 448 die Form des Segensgestus mit der Fingerstellung IC und
X C (Schäfer, S. 393 und 418).
Die sehr qualitätvolle Pantokratorikone der Wiener Sammlung entspricht der stren
gen Form des Typus in allen Zügen. Das Pantokratorbild ist das strengste aller
Ikonen mit der stärksten Tradition in jeder Einzelheit, was aus der angegebenen
Entstehungsgeschichte resultiert. Demnach sind stilistische Unterscheidungen mini
mal. Zu den wesentlichen Zügen des Bildes gehört die strenge Frontalität, der Segens
gestus, das Buch in der Linken, ein in bestimmte immer gleichbleibende Falten
gelegtes Gewand und eine ganz bestimmte Bildung des ovalen Gesichtes. Lange
Haare, Bart und schmale lange Nase. Die Haare sind in der Mitte gescheitelt, wovon
zwei kleine Locken in die Stirne hängen. Der Ausdruck der Augen ist ernst und mild
zugleich und weist manchmal eine gewisse Strenge auf. Im wesentlichen aber ist er
ernst und bewußt. Alle Einzelheiten sind darauf abgestimmt, größtmögliche Feier
lichkeit von dem Bild ausgehen zu lassen. Die Variationen dieses Typus betreffen
nur die Länge des Bartes, die Gesamtform des Gesichtes, das schmäler oder breiter
in seiner Ovalform sein kann und gewisse Schematisierungen in den Falten des
Gewandes und den Faltenzügen am Hals. Die früheren Beispiele, wie der Panto
krator von Daphni, zeigen ein schmäleres Gesicht, das im Laufe späterer Jahrhun
derte etwas breiter wird. Die Stirnfalten und die Modellierung des Gesichtes ist in
den frühen Beispielen stilisiert und wird später hin etwas mehr verlebendigt. Die
strenge traditionelle Form erhält sich auch späterhin am stärksten im Bereich der
Klöster, vorwiegend der am Athos. So ist auch die Wiener Ikone mit zwei Athos-
ikonen des 14. Jahrhunderts am besten vergleichbar: erstens eines des Pantokrator
klosters (Schroll 71) mit dem sie in Haaren und Bart, Gesten und Gewandfalten im
wesentlichen übereinstimmt und zweitens einer Ikone im Kloster Watopedi (Feli-
cetti 93), die zwar etwas gedrungener ist, aber doch im Ausdruck des Gesichtes in
die gleiche Richtung geht wie das Wiener Stück. Weiter bringt eine naheliegende
Variation eine Ikone des byzantinischen Museums in Athen (Sotiron Nr. 1070), von
der besonders betont wird, daß sie die wesentlichen Charakteristika des 14. Jahr
hunderts enthält (S. 31). An dieser Ikone ist zwar der Segensgestus etwas anders,
aber die Modellierung des Halses und Gesichtes stimmen fast wörtlich überein. Mit
diesen Beispielen verglichen, erscheint als Unterschied auf der Wiener Ikone nur die
etwas weichere und „lebendiger“ durchgeführte Modellierung der Fleischteile und
eine gewisse harte Stilisierung der Gewandfalten vor allem des breiten Goldstreifens
auf der rechten Schulter. Diese Merkmale sprechen für eine Datierung in das frühe
15. Jahrhundert obwohl der Typus im ganzen dem 14. Jahrhundert voll entspricht.
Als landschaftliche Zuweisung hat, durch den meisterhaften Ausgleich von Emst
und Milde im Gesichtsausdruck hingewiesen, die Entstehung auf dem Athos die
größte Wahrscheinlichkeit.
Lit.: Kat. Graz Nr. 20
ÖM. Big. 258
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