engst verwandte Ikone wird heute in der Eremitage in Leningrad aufbewahrt 2 ).
Dieses Werk verkörpert den allgemeinen Typus der Deesis, von dem das Wiener
Stück durch die Kleidung des Täufers abweicht, der nicht wie sonst üblich im antiken
Gewand (Chiton und Himation), sondern in der Fellkleidung des Eremiten bei
Christus Fürsprache hält. Ebenso fremd wirkt die Wiedergabe des asketischen
Körpers, wie die Schriftrolle im Zusammenhang mit der Deesis. Sie weisen auf die
Darstellung des Täufers als Einzelfigur, die in dieser speziellen Erscheinung, nicht
zuletzt durch den gotisierenden Formgehalt der Gestalt des Johannes als veneto-
byzantinisch zu bezeichnen ist. Die allgemeine Verwandtschaft der Wiener Deesis
mit dem Werk des kretischen Künstlers Nikolaos Ritzos bestätigt diese Bezeichnung.
Die Übereinstimmung der Wiener Ikone mit dem zweiten vergleichbaren Werk in
Leningrad lassen sich bis in Detail verfolgen. Die Zeichnung des Gewandes Mariae
und Christi, wie die Wiedergabe des Thrones legen es nahe, daß es sich hier um zwei
Künstler handelt, die aus demselben Vorlagenschatz schöpften. Gegenüber dem
älteren „Leningrader Meister“ verzichtet der Meister der Wiener Deesis auf die
dominierende Stellung Christi. Gleichzeitig damit gewinnen die Gestalten an Festig
keit und Kompaktheit, sowie an gegenseitiger räumlicher Differenzierung. Charak
teristisch erscheinen die spitzwinkeligen Verzweigungen der Faltenbrüche, wie die
scharfe Trennung von Licht- und Schattenflächen bei den gerafften Stoffbahnen
mit einer Zwischenzone, wo jeweils die Lokalfarbe durch Weiß aufgehellt wurde und
sich zum Teil kammartig verzahnt. Der Farbeindruck des Bildes wird durch dunkle,
aber satte Töne bestimmt. Das Maphorion (Mantel) Mariae und der Chiton (Unter
gewand) Christi leuchten in dunklem Kirschrot, das tiefe Blau ihres Mantels wieder
holt sich, mit Chrysographien versehen, bei dem Himation (Mantel) Christi. Das
helle Ocker des Thrones, mit Goldschraffen gegliedert, hebt sich von dem Grün des
Fußbodens ab, Ocker ist auch das Evangelienbuch, mit den bunten Edelstein-Ver
zierungen. Einen grellen Akzent geben die karminroten Kissen, auf dem Thron
das vordere und jenes, auf dem die Füße des Herrn ruhen und die traditionellen
roten Schuhe der Muttergottes.
In den Inkamatteilen überwiegen flächenmäßig die beschatteten vor den mit Weiß
und zartem Rosa aufgehellten Partien, die sich von dem tiefen Ockerton der Schatten
(etwa Siena natur) deutlich abheben. Hiebei sind weiße Licht-Linien nur sparsam
verwendet und sind in das zarte Rosa eingebunden.
Auf dem Goldgrund sind die Figuren mit Beischriften in der verkürzten, traditio
nellen Form bezeichnet.
Die Übersetzung des griechischen Textes auf der Schriftrolle des Johannes lautet:
„Auch ich, Herr, rufe zusammen mit Deiner Mutter, die Dich liebende, voraus
eilende Stimme erhebend, Wort Gottes: die Du durch Dein Blut heiligtest, als Du
am ehrwürdigen Kreuz erhöht und unschuldig geschlachtet wurdest, denen mache
Dich wieder zum Geschenk, milder Heiland, aus Deiner Menschenliebe“.
Der Maler der Wiener Deesis beherrscht die Stilmittel seiner Zeit in hohem Maße
und schuf damit eine Ikone von hoher Qualität. Die aufgezeigten Stilmerkmale
zeugen für einen der kretischen Maler, deren Schaffensperiode um das Jahr 1500
fällt.
Anm. 1: abgebildet in: V. J. Djuric — Sv. Radojcic, Icones de Yougoslavie, Belgrad,
1961, Nr. 52, Taf. LXXII.
Anm. 2: abgebildet in: Felicetti, S 94, Taf. 120/B.
Lit.: Ausstellungskatalog des Kunsthistorischen Museums „Maria, Die Darstellung
der Madonna in der bildenden Kunst (10. Sept.—8. Dez.), Wien, 1954, Nr. 8, S. 40;
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