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PLASTIK UND MALEREI.
feilen, d. h. mit inftinctiv ficherm Blicke die wirkungsfähigen Bilder in dem
flüchtigen Wechfel der wirklichen Erfcheinungen zu erkennen und feftzühalten.
Es wird wenig Muftergültigeres nach diefem Grundfatze getroffen werden, als dieser
Prim, und ich ftehe nicht an, ihn nicht blofs für das bedeutendfte Werk
Regnault’s zu erklären, fondern es zu den hervorragendften, bezeichnendften,
vollendetften Kunftwerken zu reihen, welche das letzte Jahrzehnt hat entliehen
fehen. —
Die franzöflfche Kunftverwaltung — das verlieht fleh von felbft — bringt
es mit fleh, dafs diefes Bild — wie alle als Markzeichen der modernen Kunft-
richtung in Frankreich fleh darltellenden Kunltwerke — dem Staate gehört. Man
ift dort längft fo klug, in diefer Richtung lieber zu viel als zu wenig zu thun,
und das, was fleh unter dem Angekauften nach Jahren und Jahi zehnten etwa als
im Momente der Entltehung und der Erltehung überfchätzt herausftellt, lieber
entweder auszuschliefsen oder an die zahlreich bellehenden Provinzial-Museen
abzugeben, als die Hauptfammlungen des Staates in die peinliche und lächer
liche Lage zu verfetzen, hinterdrein auf die epochemachenden Arbeiten der Ver
gangenheit Jagd machen zu müfsen, und dabei dann auf das zufällig noch Käuf
liche — alfo auf die »beaux reltes« llatt auf die »premices« der Kunltproduction
angewiefen zu fein und gleichwohl in die Höhe gefchraubte 1 reife zahlen zu
müfsen, nachdem der Künltler felbft nicht feiten bei Lebzeiten aus Mangel an
Abfatz zu annehmbaren Bedingungen - namentlich für gröfsere Arbeiten — in
Noth gerathen, mindeftens an der vollen, freien Entfaltung feiner Fähigkeiten
gehindert worden war.
Das bemerkenswerthefte Werk Regnault’s nächft diefem Prim, seine Salome,
machte die Wiener Aufteilung nicht weitern Kreifen bekannt, dagegen fein
letztes grofses Bild, in Tanger, als Nachwirkung der in Spanien und in Afrika
empfangenen Eindrücke, während des Sommers 1870 entftanden und eine Hin
richtung ohne Urtheil unter den maurifchen Königen zu Granada darftellend.
Am Eingänge eines maurifchen Palaftes hat ein grofser Henker mit bronzefarbenem
Teint, angethan mit einem langen rofafarbenen Rocke, fein unfeliges Gefchäft
vollzogen. Zu feinen Füfsen liegt in jener überwendlichen und ungefchickten
Stellung, welche, wie man fagt, den Gliedern der Enthaupteten eigen ift, der
Leichnam einer prächtig gekleideten Perfönlichkeit. Sein Haupt, blutlos und
bleich, ift auf die unterften Stufen der im Vordergründe befindlichen Treppe ge
rollt; eine grofse rothe Blutlache breitet fleh über die weifsen Marmorplatten aus.
Der aufrechtftehende Henker, ungemein ftolz und befriedigt, fein Amt nach allen
Regeln der Kunft geübt zu haben, wifcht gleichgültig die kaum benetzte blitz
helle Klinge feines Yatagan an dem Zipfel feines Gewandes ab.
In diefem Vorgänge, welchem ein Delacroix natürlich eine Wendung zum
Tragifchen gegeben hätte, und der in der That nicht übermäffig heiter ift, hat
Regnault in erfter Linie eine Gelegenheit erblickt, gewiffe Farbenverbindungen
zu probiren, eine in der Salome noch nicht dagewefene Harmonie der Töne.
Der Scharfrichter hat, wie fchon gefagt, die bräunlichen Fleifchtöne der Afrikaner;
fein Gewand hat eine Farbe ähnlich derjenigen halbverwelkter Rofen; ein fchmaler
weiffer Linnenftreif umzieht feine Stirn. So in einer Tonleiter gehalten, deren