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Volltext: Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873

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PLASTIK UND MALEREI. 
feilen, d. h. mit inftinctiv ficherm Blicke die wirkungsfähigen Bilder in dem 
flüchtigen Wechfel der wirklichen Erfcheinungen zu erkennen und feftzühalten. 
Es wird wenig Muftergültigeres nach diefem Grundfatze getroffen werden, als dieser 
Prim, und ich ftehe nicht an, ihn nicht blofs für das bedeutendfte Werk 
Regnault’s zu erklären, fondern es zu den hervorragendften, bezeichnendften, 
vollendetften Kunftwerken zu reihen, welche das letzte Jahrzehnt hat entliehen 
fehen. — 
Die franzöflfche Kunftverwaltung — das verlieht fleh von felbft — bringt 
es mit fleh, dafs diefes Bild — wie alle als Markzeichen der modernen Kunft- 
richtung in Frankreich fleh darltellenden Kunltwerke — dem Staate gehört. Man 
ift dort längft fo klug, in diefer Richtung lieber zu viel als zu wenig zu thun, 
und das, was fleh unter dem Angekauften nach Jahren und Jahi zehnten etwa als 
im Momente der Entltehung und der Erltehung überfchätzt herausftellt, lieber 
entweder auszuschliefsen oder an die zahlreich bellehenden Provinzial-Museen 
abzugeben, als die Hauptfammlungen des Staates in die peinliche und lächer 
liche Lage zu verfetzen, hinterdrein auf die epochemachenden Arbeiten der Ver 
gangenheit Jagd machen zu müfsen, und dabei dann auf das zufällig noch Käuf 
liche — alfo auf die »beaux reltes« llatt auf die »premices« der Kunltproduction 
angewiefen zu fein und gleichwohl in die Höhe gefchraubte 1 reife zahlen zu 
müfsen, nachdem der Künltler felbft nicht feiten bei Lebzeiten aus Mangel an 
Abfatz zu annehmbaren Bedingungen - namentlich für gröfsere Arbeiten — in 
Noth gerathen, mindeftens an der vollen, freien Entfaltung feiner Fähigkeiten 
gehindert worden war. 
Das bemerkenswerthefte Werk Regnault’s nächft diefem Prim, seine Salome, 
machte die Wiener Aufteilung nicht weitern Kreifen bekannt, dagegen fein 
letztes grofses Bild, in Tanger, als Nachwirkung der in Spanien und in Afrika 
empfangenen Eindrücke, während des Sommers 1870 entftanden und eine Hin 
richtung ohne Urtheil unter den maurifchen Königen zu Granada darftellend. 
Am Eingänge eines maurifchen Palaftes hat ein grofser Henker mit bronzefarbenem 
Teint, angethan mit einem langen rofafarbenen Rocke, fein unfeliges Gefchäft 
vollzogen. Zu feinen Füfsen liegt in jener überwendlichen und ungefchickten 
Stellung, welche, wie man fagt, den Gliedern der Enthaupteten eigen ift, der 
Leichnam einer prächtig gekleideten Perfönlichkeit. Sein Haupt, blutlos und 
bleich, ift auf die unterften Stufen der im Vordergründe befindlichen Treppe ge 
rollt; eine grofse rothe Blutlache breitet fleh über die weifsen Marmorplatten aus. 
Der aufrechtftehende Henker, ungemein ftolz und befriedigt, fein Amt nach allen 
Regeln der Kunft geübt zu haben, wifcht gleichgültig die kaum benetzte blitz 
helle Klinge feines Yatagan an dem Zipfel feines Gewandes ab. 
In diefem Vorgänge, welchem ein Delacroix natürlich eine Wendung zum 
Tragifchen gegeben hätte, und der in der That nicht übermäffig heiter ift, hat 
Regnault in erfter Linie eine Gelegenheit erblickt, gewiffe Farbenverbindungen 
zu probiren, eine in der Salome noch nicht dagewefene Harmonie der Töne. 
Der Scharfrichter hat, wie fchon gefagt, die bräunlichen Fleifchtöne der Afrikaner; 
fein Gewand hat eine Farbe ähnlich derjenigen halbverwelkter Rofen; ein fchmaler 
weiffer Linnenftreif umzieht feine Stirn. So in einer Tonleiter gehalten, deren
	        
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