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Volltext: Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873

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DIE AUSSTELLUNGSBAUTEN. 
wir die höchfte und für uns erfreulichfte Eigenfchaft, durch welche fich das grofse 
Wiener Unternehmen auszeichnet. 
Allerdings hat den Kern des Ganzen wieder der englifche Geilt gefchaffen. 
Die Rotunde, die Conception Scott-Ruffel’s, ift in ihrer alles bisher Dagewefene 
kühn überflügelnden Grofsartigkeit eine Leiftung, die vor Allem als Riefenwerk 
der Eifenconftruction und Technik Bewunderung verdient und als ein für fleh be- 
ftehendes Ganzes gewürdigt werden will. Die Verbindung diefes Einheitlichen 
mit dem vielgetheilten, polypenartig beweglichen Fifchgräten-Syltem, die künft- 
lerifche Löfung der damit gegebenen Widerfprüche, die Erfindung einer Archi 
tekturform, die auf den Riefenbau im Innern fchon gleich am Eingänge vor 
bereitet: das war die Aufgabe, welche dem Architekten der Weltausftellung ge- 
ftellt war, und er hat fie in überrafchend glücklicher Weife gelöft. 
Den Centralraum der Rotunde läfst er durch mächtige Arcaden auf fchlanken 
Säulen mit aufgefetztem Gebälkftück fich gegen die Seitenfchiffe öffnen. Der 
ftolze Rhythmus diefer Arcaden durchtönt wie ein ernltes Mahnwort der Archi 
tektur die luftigen, reizvoll gefchmückten Hallen. Nicht minder gewaltig ftellen 
fich die Portalbauten dar mit ihren tief einfpringenden, gleichfam zum Eintritt 
einladenden Nifchen, ihren fegmentförmigen, den Dächern des Induftriepalaftes 
entfprechenden Abfchlüffen und den Paaren römifcher Säulen, die, auf hohe 
Sockel geftellt, zu beiden Seiten die weitausladenden Gebälke ftützen. Das Eid 
liche Eingangs-Portal, der Haupt-Eingang in den Induftriepalaft, hat die Grund 
form eines römifchen Triumphbogens, an deffen Attika wieder jene Segmentform 
der Dachabfchlüffe decorativ zu Tage tritt, und der fich in einem grofsen, ton 
nengewölbten und caffettirtcn Durchgänge gegen die Vorhalle der Rotunde öffnet. 
Von den beiden Portalen der Schmalfeiten haben wir das örtliche auf Seite 5 
abgebildet. Die Eckpunkte der Anlage find durch etwas gedrückt erfcheinende 
Pavillons mit breiten Kuppeldächern im Louvrertyl markirt, welche an der Haupt 
fronte mittelft luftiger Arcadenhallen in Verbindung flehen. Das Motiv der 
grofsen Arcaden des Innern wiederholt fich hier im Kleinen, und befonders in 
ihrer Anlehnung an die grofsartigen Formen des Triumphal-Thores bilden diefe 
zierlichen, rechts und links verlaufenden Bogengänge einen der anmuthigrten 
Züge in der Geftaltung des Aeufsern. —• 
Die Formenfprache, deren fich die Urheber der Ausftellungsbauten bedient 
haben, ift kein reines Idiom; wo fpräche man heutigentags auch noch ein folches? 
Aber ein allen gemeinfamer Grundcharakter läfst fich doch gleich erkennen: es 
ift der der Spätrenaiffance von zum Theil italienifcher, vorwiegend aber franzö- 
fifcher Färbung. 
Man weifs, dafs verwandte Tendenzen fich in letzter Zeit in Wien, wie ander 
wärts, häufig Geltung verfchafft haben. Neben der ftrengen hellenifchen und der 
neuerdings auf den Schild gehobenen deutfehen Renaiffance findet die Baukunft 
der Barockzeit, namentlich in unfern grofsen Zinshäufern und Paläften, ftets 
wachfenden Raum und Anklang. Dafs die Bauten jener lange fo verächtlich an- 
gefehenen „Zopfzeit“ jetzt von Praktikern wie von Theoretikern wieder eifrig 
ftudirt und in ihrer hiftorifchen und künftlerifchen Bedeutung, gewürdigt werden, 
ift nur ein Beweis mehr für die Rückkehr des „Gefchmackes“ zu den Anfchau- 
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