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DIE VERVIELFÄLTIGENDEN KÜNSTE.
der franzöfifchen Radirung länger verweilten, fo foll dies nicht zu Ungunften jener
Meifler gedeutet werden, welche ein weniger umfangreiches Regifter beherrschen,
vielmehr, wie in der Malerei, fo auch in der geätzten Zeichnung ihrer einmal
eingefchlagenen Richtung treu bleiben, als: Leon Gaucherel, Maxime Lalanne
und deren Beider Schüler Brunet-Debaines und Rajon, ferner Delauney,
Rochebrune, V eyraffat u. A. Ausgezeichnet find fie Alle durch einen feinen
Sinn für Lichtwirkung, fei es in Contraften, fei es in feiner Abtönung. Beffer als
es hier auf kleinen Kupferplatten gefchieht, kann auch die kühnfte Malerei nicht
Schattenmaffen bewältigen, Raum- und Luftwirkung verfolgen. Eine befondere
Gruppe unter diefen Meiftern bilden noch diejenigen, welche mit Vorliebe archi-
tektonifche Anfichten wiedergeben und dabei ein feltenes Verftändnifs hiftorifcher
Bauformen an den Tag legen.
Bedeutfame Anftrengungen macht auch die franzöfifche Lithographie in
ihrem Streben, fich der Radirung und wohl gar auch dem linearen Kupferftich
an die Seite zu ftellen. Seitdem Alexandre Calame und Eugene Blcry die Ori
ginal-Lithographie mit fo viel Erfolg cultivirt haben, ift die Steinzeichnung buch-
ftäblich falonfähig geworden. Sie dient nun manchen Malern als Surrogat für die
fchwierigere Kupferradirung, wie z. B. Achille Sirouy. Andere bedienen fich ihrer
zum Studium und zur Reproduction fremder Werke, wenn es auch nicht Jedem
fo gut gelingt wie E. L. Vernier mit der Wiedergabe von Landfchaften Corot’s,
deffen graue, ftaubige Malweife wie für die Lithographie prädeflinirt crfcheint.
Kühne Neuerungen auf diefem Gebiete zeigen dagegen zwei von Alexandre Col-
lette ausgeftellte grofse Blätter, die Himmelfahrt Chrifti nach Pietro Perugino
und die heilige Familie des Königs Franz I. nach Raphael. Jene, theils mit der
Feder, theils mit dem Stift ausgeführt, ift ein Verfuch, den Contouren Fertigkeit
zu verleihen, ohne die Zartheit der Schattirung aufzuheben; diefe ift eine genaue
Nachzeichnung des berühmten Edelinck’fchen Stiches mittelft der Feder. Letztere
Leiftung ift von crftaunlicher Kraft und vertagt nur etwa beim Ucbergang in die
höchften Lichter die Wirkung.
Eine Kunfttechnik, welcher die illuftrationsluftige Gegenwart und mehr noch
vielleicht die Zukunft eine grofse Rolle anweift, der Holzfchnitt, findet in
Frankreich gleichfalls erfolgreiche Pflege. Und zwar ift es nicht fowohl die über
triebene, nach rohen Effecten hafchende Richtung, welche der Gaukler Guftav
Dore feinen Holzfchneidern aufgezwungen hat, cs ift vielmehr eine ftreng zeich
nende, mafsvoll abtonende Art und Weife, welche uns auf der franzöfifchen Aus-
ftellung vorgeführt wurde. Dabei mufs es als eine ehrenwerthe, allerwärts nach
zuahmende Einrichtung hervorgehoben werden, dafs die Holzfchneider felbft als
ausftellende Künftler auftraten. Der Spielraum, welcher dadurch dem perfönlichen
Ehrgeiz geboten wird, ift das befte Mittel, eine fo leicht zu induftriellem Betriebe
herabfinkende Kunfttechnik vor Verflachung und Verfall zu fchützen.
Schliefslich find wir aber auch dem franzöfifchen Grabftichclblatte auf
der Weltausftellung noch eine nähere Betrachtung fchuldig. Wie bereits oben
erwähnt, hat diefelbe allerdings wenig Tröftliches. Wo ift fie hin, die vergangene
Pracht, an welche die Namen Maffard, Maffon und Morin im Kataloge ohne ihr
Verfchulden erinnern? Falt fcheint es, als wäre die berühmte Stecherfchule,