MAK

Volltext: Kunst und Kunstgewerbe auf der Wiener Weltausstellung 1873

haben, ift mindeftens das eine, das grofse Gehöft, idealifirt. In diefer Weife 
wohnt kein Bauer, auch ein ruffifcher nicht. Dennoch, obwohl es für feine Be- 
ftimmung allzureich geftaltet ift, trägt es entfchieden den ächten, fpecififch ruffi- 
fchen Charakter, ebenfo wie das zweite Gebäude, das als ruffifche Reftauration 
benützt’ift. Beide find im Blockhausftil gebaut, beide tragen die gleichartige 
Ornamentation, find aber darin verfchieden, dafs das gröfsere Gehöft in feiner 
Holzfarbe blaffer ift, während die Reftauration einen polychromen Anftrich in 
Braun, Roth, und Blau erhalten hat. Letzteres entfpricht der Landesfitte. So 
wie ^s hier gefchehen ift, ohne helle Farben und grelle Gegenfätze, macht es 
mit dem Hintergründe der grünen Bäume einen höchft angenehmen und wohl- 
thuenden Eindruck. 
Die Anlage diefer ruffifchen Häufer ift, wie die der fchwedifchen, eine ent 
fchieden malerifche. Säulengeftützte Veranden, vorfpringende Dächer, reich 
verzierte Giebel, gekuppelte, bunt umrahmte Fenfter geben Mannichfaltigkeit und 
Bewegung der Linien, Wechfel von Licht und Schatten. Das Gehöft enthält zu 
dem Hauptgebäude noch einige kleinere, verbunden oder umfchloffen durch eine 
kunftvoll in durchbrochener Arbeit verzierte Umzäumung, mit einer äufserft 
reichen Doppelpforte mit durchbrochenen Flügelthüren und einem krönenden 
Dach darüber. Das Hauptgebäude, ähnlich wie die fchwedifche Meierei, mit 
einem Hauptftock und einem niedrigeren Parterregefchofs darunter, hat jedoch 
feine Stiege im Innern. Vor der Eingangsthür ift eine offene Halle mit einem 
bedeckten Gang zur Seite: alles fcheint darauf angelegt, Luft, Licht und Sonne 
foviel wie möglich zu geniefsen. Das grofse Wohnzimmer im Hauptgefchofs ift 
foweit eingerichtet, dafs es uns wohl eine Idee von der ruffifchen Wohnung zu 
geben vermag. Alles ift mit Holz gedeckt und gedielt, der Plafond zeigt feine 
Balken, Gefimsbretter tragen Faiencekrüge und anderes Gefchirr, der (imitirte) 
oben platte Kachelofen den Samowar und das übrige Theegeräth, in einer Ecke 
fieht man das umhängte Heiligenbild, die Vorrichtung zur religiöfen Uebung, 
Tifche, Bänke und Stühle find einfach aus Holz mit meift vertieft gefchnittenem 
Ornament, einzelne Leinengewebe endlich, die als Handtücher oder Thürbehang 
dienen, geben uns mit ihren rothen Ornamenten Beifpiele von den eigenthüm- 
lichen nationalen Geweben Rufslands. 
Was diefes ruffifche Haus wohl am meiften charakterifirt, das ift fein ächtes 
Holzornament. Die Bauart ift der Blockhausftil, doch fo, dafs die Balken auf 
der Aufsenfeite wieder abgerundet find. Dies könnte auf ein fehr altes Motiv 
hinweifen, wonach die Baumftämme nur unten und oben, wo fie auf einander 
liegen, abgeplattet wären. Wo aber nur die Möglichkeit fich zeigt, das durch 
brochene Holzornament einigermafsen organifch an den Ecken und Kanten an 
zubringen, da ift es auch gefchehen. Es bekränzt die Giebel, läutt auf dem 
ganzen Dachfirft entlang, fällt wie ein Spitzenfchleier vom Dach herunter, bildet 
Gallerien, Geländer, Gitter, Zäune, umgiebt als Rahmen die Fenfter, kurzum 
bildet völlig die charakteriftifche Erfcheinung des rufifchen Haufes. Seine Art 
ift auf den erften Blick fehr einfach. Es ift keine plaftifche Schnitzerei, die fich 
aus dem Grunde herausbewegt und modellirt; es ift rein aus dem Brett durch- 
fägte Arbeit, die wie Spitzenkanten endet. Durchweg find es kurze grade Linien,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.