Ich möchte es mir daher nicht versagen, den Geist des Meisters an
den Charakteristiken einiger seiner berühmtesten Schüler wie in einem
Spiegelbild zu zeigen.
■* * •*
Sein kongenialster Jünger war ohne Zweifel der leider zu früh ver
storbene Joseph M. Olbrich.
Er kam von der Schule Hasenauer; Wagner hatte ihn bei seinem Lehr
antritt von diesem seinen Vorgänger übernommen. Olbrich trat als Atelier
gehilfe und Mitarbeiter an dem Stadtbahnprojekt beiWagner ein und aus
den bedungenen fünf Monaten wurden fünf Jahre.
Olbrich war von allen dem Meister entschieden am ähnlichsten, was
den Geist, das Temperament und die künstlerische Überzeugungstreue
betraf. Als Erbauer des Wiener Sezessionshauses und einiger Villen genoß
er eines sehr frühen Ruhmes, ward alsbald durch den Großherzog von
Hessen nach Darmstadt berufen, wurde dort mit Ehren und Aufträgen
überschüttet und starb knapp vor Vollendung seines großen Düsseldorfer
Warenhauses im Sommer 1908 eines plötzlichen Todes, 41 Jahre alt, viel,
viel zu jung für die Baukunst, die in ihm einen ihrer genialsten Verfechter
verloren hatte. Seine leuchtenden Spuren werden aber in der Kunst nicht
untergehen. In 28000 zum großen Teil handgezeichneten Blättern, einem
Riesennachlaß, der dem Berliner Kunstgewerbe-Museum angehört, sind
sie der Nachwelt überliefert, und außerdem sind sie zum guten Teil
Stein geworden in den Ländern am Rhein und zu Cöln, die sich seiner
herrlichsten Bauschöpfungen erfreuen dürfen.
Wenngleich Olbrich im Verlauf seines Darmstädter Wirkens formal
ästhetisch seine eigenen Wege ging und nach seiner stürmischen Sezessions
epoche im begeisterten Anblick alter Meisterschöpfungen einen persön
lichen Stil entwickelte, voll reinster Klassizität, so war doch das Wesent
liche daran echt Wagnerscher Geist.
Die Meisterschaft des Grundrisses, die unerhörte konstruktive Sattel
festigkeit, darin er sich von seinen deutschen Kunstgenossen sehr be-
142