Nur Wien tat so, als wüßte es von nichts, kein Ehrentitel für unsere
Stadt!
Aber er hat diese Stadt dennoch überwunden. In dem ungleichen
Kampf, in dem sich der einsame Große gegen die namenlose Horde der
Kleinen befand, war er nur scheinbar unterlegen. Im letzten und ent
scheidenden Sinn hat er dennoch gesiegt, sowohl künstlerisch als moralisch.
Er hat diese Stadt, die sich durchaus im eigenen Licht stehen wollte,
überwunden, ob sie wollte oder nicht, er hat ihr seinen Stempel aufge
drückt. Für die geschmacklosen äußerlichen Nachahmungen, die sich seine
Stilneuerungen seitens der Bauspekulation in den Vorstadt-Zinshäusern
gefallen lassen mußten, kann man den Künstler nicht verantwortlich
machen, wie es seine Feinde mit Vorliebe getan haben.
Er hat die Stadt in edlerer Weise gezwungen, und zwar durch seine
Schüler, als ein Beispiel, daß die geistige Kraft sich nicht unterdrücken
läßt und sich Hunderte vonNebenauswegen sucht, wenn man ihrenHaupt-
strom unterbinden will.
20 Jahre Wagner-Schule, das ist ein Reservoir von Ideen und jugend
licher Schöpferkraft, wie es sonst ein ganzes Jahrhundert nicht hervor
zubringen vermag. Spätere Zeiten werden staunend in den Werken des
Meisters und der Schüler blättern und diese Stadt nicht begreifen, die,
wie der schlechte Knecht, so beharrlich ihr Pfund vergraben wollte.
Daß es trotzdem hundertfach aufgegangen ist, beweist die Unüber-
windlichkeit des Künstlers. Wien war diesmal wiederum der reine Hans
im Glück, der ein großes Gut achtlos wegwirft, um mit dem kleinen sich
reich und glücklich zu wähnen. So blieb alles Stück- und Pfuschwerk, was
unter Wagner ein großzügiges Ganzes hätte werden sollen.
Aber wo man für die zahlreichen Einzelaufgaben wirklich großzügige
Architekten braucht, findet man ehemalige Wagner-Schüler am Werk. So
treten junge und erfolgreiche Künstler, die vor allem tüchtige Könner
sind, in den Vordergrund des Wiener Bauschaffens. Es entstehen Zins
häuser, Banken, Kuranstalten, Tribünenbauten (wie am Trabrennplatz)
usw. usw., die in verjüngter Form den Geist Wagners enthalten, vor
allem was das künstlerische Raumkonzept, die ebenso praktische als
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