suchen und Materialentdeckungen, gewiß auch nicht an der im ganzen
klassischen Zucht und Haltung seiner Bauten — sondern lediglich und
entscheidend an dem unerreichten, großzügigen und einfach genialen
Wurf seiner Projekte, die er zuerst im Grundriß sieht, ist die Größe und
Einzigkeit dieses Künstlers zu ermessen.
Der Kardinalsatz, daß der einzige Ausgangspunkt unseres
künstlerischen Schaffens nur das moderne Leben sein kann,
ist von keinem der heutigen Architekten so folgerichtig angewendet
worden als von Otto Wagner.
Das kann in erster und letzter Linie nur aus dem Grundriß hervor
gehen; im übrigen sind alle mehr oder weniger Eklektiker, Wagner nicht
ausgenommen, müssen es vielleicht sein, aus Gründen, die ich schon ge
nannt habe. Nur im Grundriß dürfen sie es nicht sein; hier liegt aber die
Sache so, daß Wagner der einzige ist, der frei ist von Eklektizismus und
sich nur von der Forderung des Lebens leiten läßt.
Sein revolutionäres Buch über „Moderne Architektur (Baukunst)“ geht
eigentlich um nichts anderes als um den Grundriß. Es geschieht ganz un
bewußt, wie auf höhere Eingebung; der Künstler gebraucht ganz andere
Worte. Er spricht von der Komposition, von der Charakteristik, von der
Monumentalerscheinung, von dem Einfachen und Praktischen, sozusagen
Militärischen, von den perspektivischen Wirkungen und Sehdistanzen,
von der Notwendigkeit der Symmetrie, von der Gruppierung und dem
Konzentrationspunkt, von dem Terrain und landschaftlichen Hinter
grund, von der Zweckerfüllung, von der Konstruktion, von der daraus
entwickelten Kunstform, von dem Material, von dem Ingenieurgeist, von
den Größenwirkungen, von der künstlerischen Weihe, vom Komfort und
allen Nützlichkeiten, vom Stil und von der Schönheit, er setzt über alles
den Leitspruch: „ARTIS SOLA DOMINA NECESSITAS“ — und dabei
handelt alles, ohne daß es klar ausgesprochen ist, von nichts anderem als
vom GRUNDRISS, mit dem alles dieses zusammengegeben sein muß.
Das ist der tiefe Sinn seines Buches, der Ewigkeitsgehalt und der Stein
der Weisen. Das ist zugleich der tiefe Sinn des Meisters, sein unvergleich
liches Genie, seine Weltbedeutung.
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