Virgil Solis leitete eine neue Epoche der Bibelillustration ein, indem er als erster
Meister die Bildfolgen der gesamten Bibel zur Ausarbeitung übernahm. Damit ent
stand erstmals ein geschlossener Eindruck von Text und Bild. Obwohl Solis in seine
Bildfolge verhältnismäßig wenig polemisch-zeitkritische Züge aufgenommen hat,
trägt doch das apokalyptische Untier (Offenbarung 11) auch bei ihm die Papstkrone
und folgt damit dem Vorbild des reformatorischen Streiters Cranach. Solis’ Bilder
sind in ihrer Gesamtheit großartige Beispiele der Buchillustration des Manierismus
und unterscheiden sich stark von den volkstümlichen Illustrationen früherer Bibel
ausgaben. Realistische Genauigkeit im einzelnen und phantastische Unwirklichkeit
im ganzen bestimmen sein Werk. Vor allem wird dieser Eindruck durch die Klarheit
bei der Zeichnung der einzelnen Gegenstände sowie die extrem starke Tiefenraum
perspektive erzielt. Trotz der scharfen Trennung zwischen Bildfeld und Ornament
rahmen ist die Gesamtwirkung einheitlich. Das verwendete Rollwerksystem gehört
der phantastischen Stufe der Groteske an. Oftmals scheint es, als würde in diesen
Illustrationen nicht so sehr die Absicht vorherrschen, das Dargestellte als „Gesehenes“
zu zeigen, als vielmehr fast surrealistischer Spekulation Raum zu geben.
Lit.: Bartsch, IX, S. 316ff. — Schmidt, Ph., Die Illustrationen der Lutherbibel, Basel,
1962, S. 236 ff. — Dornik-Eger, Albrecht Dürer und die Graphik der Reformations
zeit, Schriften der Bibi. d. Ö. M., 2, Wien, 1969, Nr. 69.
69 ENTWURF ZU EINER ALLEGORIE DER VIKTORIA Abb. 50
Feder in farbigen Tinten, rot, goldgelb, blau, karminlila, olivgrün in verschiedenen
Tönungen auf Papier, 15,6 : 11,6 cm
Vorlage für einen Farbstich (Bekrönungsfigur)
Monogramm VS verschlungen und Datierung 1562
Aus der Sammlung Lanna, Prag
Inv.-Nr. K. I. 7757 (V, f)
Die mythologische Figur ist zwar von antiken Vorbildern abhängig, wird aber, dem
Manierismus folgend, als Teil einer Gesamtdekoration aufgefaßt. Die Zeichnung
stammt aus dem Todesjahr Virgil Solis’.
Lit.: Meder, Handzeichnungen alter Meister, XI, Nr. 1239.
HEINRICH ALDEGREVER
Maler, Stecher und Zeichner für den Holzschnitt, bedeutender Ornamentstecher der
ersten Hälfte und Mitte des 16. Jahrhunderts. Geboren 1502 in Paderborn, war wahr
scheinlich in Dürers Werkstatt tätig, bis er sich 1527 in Soest niederließ. Dort starb
er zwischen 1555 und 1561.
Lit.: Bartsch, VIII, S. 363 ff. — Passavant, IV, S. 102ff. — Nagler, Monogrammisten,
I, 583, 1084. — Zschelletzschky, H., Das graphische Werk Heinrich Aldegrevers, in:
Studien zur dt. Kunstgeschichte, Heft 292, Straßburg, 1933 — Hollstein, German
Engravings, Vol. I, S. 6—145.
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