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so ziemlich auf dieselbe Weise betrieben wird, wie sie der erwähnte
Schriftsteller vor nahezu 2000 Jahren beschrieben hat.
Im Abendlande, wo der Weinstock erst später allgemeinere
Verbreitung fand, führte das rauhere Klima naturgemäss auch zu
einer durch dasselbe bedingten veränderten Bereitungs- und Auf
bewahrungsweise; in den Klöstern, welche sich überall die schönsten
und für den Weinbau geeignetsten Lagen nutzbar zu machen wussten,
wurde dem Weinbau und der Weinbereitung zwar die grösste Auf
merksamkeit gewidmet und man verstand es auch, vorzügliche Weine
zu erzeugen, doch kam man über eine gewisse Empirie nicht hinaus.
Erst mit den Eortsehritten in der Chemie trat eine entscheidende
Wendung ein; sie, die grosse Lichtverbreiterin hat uns erst die Mittel
an die Hand gegeben, uns klar zu werden über die Veränderungen,
welche die Jahreszeiten, das Klima, der Boden und die Lage auf die
Trauben hervorbringen; besonders aber über die Natur der Gährung,
die Bedingungen derselben und die Substanzen, welche sie vermitteln
und vollbringen; sie lehrte uns die Wissenschaft, die Gährung zu
leiten und sie so zu sagender sehr verschiedenen Natur der Elemente,
durch welche sie bedingt ist, anzupassen; ja noch mehr, sie unterweist
uns, die Fehler des Stoffes erkennen und verbessern und durch Kunst
nachhelfen und ersetzen zu können, was die Natur etwa mangelhaft
gelassen hat.
Wir können es daher mit vollster Ueberzeugung aussprechen,
dass erst seit den letzten 100 Jahren, namentlich aber in der neuesten
Zeit die Weinbereitung wissenschaftlich betrieben wird und mit Hilfe
der Chemie in dieser kurzen Spanne Zeit grössere Fortschritte gemacht
hat, als in den Jahrtausenden zuvor. Männer wie Lavoisier, Gay
Lussac, Berzelius, Mulder, Liebig, Pasteur und andere (in Oesterreich
Balling, Kedtenbacher, Oser), haben sich ein unvergängliches Verdienst
erworben und wir müssen uns stets nur mit grösster Dankbarkeit
ihrer wertvollen Leistungen erinnern.
Noch sind zwar die verschiedenen Ansichten über die Wein-
Gährung nicht völlig zum Abschlüsse gekommen und die Frage, ob
offene oder geschlossene Gährung, unterliegt noch der Controverse,
ebenso die neuester Zeit durch Pasteur hervorgerufene Meinungs-
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